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Lichtjahre

Lichtjahre

Titel: Lichtjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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langen Winterabende, während jener ruhigen Sommer, als es in dem Haus am Meer so schien, als würde die Familie, die er geschaffen hatte, immer bestehen bleiben. Gewiß würden sie leidenschaftlich sein, hochgewachsen, und sie würden ihren Kindern eines Tages - man kann es nicht mit Sicherheit sagen, wir stellen es uns vor, wir können nicht anders - wunderbare Geburtstage bereiten, riesige Kuchen mit vielen Kerzen, Wettkämpfe, Ratespiele, ein paar junge Gäste, sechs oder acht, ein Zimmer, das auf einen Garten hinausgeht, von fern kann man das Lachen hören, die Türen öffnen sich plötzlich, sie laufen hinaus in den langen süßen Nachmittag.
    Es gab so viele Dinge, die man sie fragen wollte. Die Antworten gab es nicht mehr. Sie wollten, daß sie auf dem kleinen Friedhof begraben wurde, für den die Straße sich gabelte, in der Nähe der Daros. Sie mochte sogar einmal abends darüber gesprochen haben, als sie getrunken hatte, aber das war nicht zu machen. Nedra selbst hätte es vielleicht geschafft, aber Franca versuchte es vergeblich. Es gebe sehr wenige Grabstellen, sagten sie ihr, es gebe einen Treuhänderausschuß, der solche Dinge entschied; lebte die Familie in der Stadt? Je schwieriger es wurde, die Genehmigung zu bekommen, desto mehr schien dies der einzig mögliche Weg. Sie wollten sie abseits der normalen Toten wissen. Sie wollten keine Gleich-heit; sie hatte nie daran geglaubt, nicht einen einzigen Moment.
    Eve stand bei ihnen. Unter den Ärmeln ihres Mantels sah man die Knöchel ihrer Handgelenke, sie ließen sie hager erscheinen. Ihre mageren Finger und langen Hände waren wie die einer Frau auf einer Farm, der die Zwangsvollstreckung drohte. Der Mantel war aus Tuch, der Hut aus dunklem Stroh. Wie immer hatte sie etwas abenteuerlich Vulgäres an sich. Sie war die Art von Frau, die mit ruhiger Stimme sagen konnte: »Was weißt du schon darüber?« - und ihrem Gesicht war abzulesen, ja, im Vergleich zu ihr wußte man gar nichts. Sie stand regungslos da. Als der Sarg hinabgelassen wurde, schien sie plötzlich zu husten, den Kopf nach vorne zu beugen, als bekäme sie keine Luft. Ihr Gesicht war naß von Tränen.
    »Deine Kinder sind wunderschön, Danny«, sagte sie, als es vorbei war. Sie wurde ihnen vorgestellt. Sie nahm einen Ring von ihrem Finger und das Armband von ihrem Handgelenk und hielt sie ihnen entgegen. »Hier. Ich hab euch nichts geschenkt, als ihr getauft wurdet. Aber wahrscheinlich seid ihr gar nicht getauft, oder?«
    »Nein«, antwortete Danny.
    »Egal. Irgendwas solltet ihr kriegen. Es ist ein sehr schöner Ring«, sagte sie zu dem größeren Kind. »Du wirst ihn doch nicht verlieren, oder? Früher einmal hätte ich alles auf der Welt für diesen Ring gegeben. «
    Artis, die jüngere von beiden, hatte das Armband fallen gelassen. Danny hob es auf. »Halt es schön fest«, sagte sie ihr.
    »Es ist alt, aus Gold«, sagte Eve.
    Es gab einen kleinen Empfang im Haus von Catherine Daro. Sie verabschiedeten sich von allen, sie nahmen die gemurmelten Beileidsbekundungen entgegen, sie blieben eine Weile, dann fuhren sie in einem Mietauto zurück in die Stadt. Die kleinen Mädchen schliefen. Die Sonne kam ihnen sehr warm vor. Anfangs gab es nichts zu sagen. Sie fuhren schweigend durch die menschenleere, ländliche Gegend, die letzte unnatürliche Hitze des Jahres strich über sie hinweg.
    »Da ist der Laden, der so aussieht wie eine Ente«, sagte Franca. »Erinnerst du dich?«
    Sie sahen ihn weiter vorne, wo die Straße eine Biegung machte, die runde, fast primitive Form, in der Brust die Tür.
    Ein geliebtes Relikt aus der Kindheit, wie oft waren sie in der Dämmerung daran vorbeigefahren, wenn Licht aus der Tür strömte.
    »Papa mochte ihn nicht«, sagte Danny.
    »Erinnerst du dich?«
    »Weil wir ihn so geliebt haben. Wir wollten in einem Haus wohnen, das wie ein riesiges Huhn aussieht. Ich wollte ein Zimmer im Schnabel haben. Na schön, hat er gesagt. Aber es muß richtige Federn haben, sagten wir. Und dann haben wir losgeweint. Wir haben geheult und gehört, wie die andere heulte, und dann wurde das Geheul nur noch lauter.« Franca nickte. »Warum machen wir das jetzt nicht?« murmelte sie.
    »Weil es jetzt kein Spiel wäre.«
    »Nein.«
    Eve saß schweigend, wie für sich allein, die Tränen liefen über ihre flachen Wangen.
    Das Auto mit seinen getönten Scheiben schoß über die Highways, zu beiden Seiten kahle, unbestellte Erde, die Obststände mit ihren handgemalten Schildern, die

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