Lichtjahreweit
Lyzis zu töten und die Augenlosen vom Fluch des Kannibalismus zu erlösen, oder gar, um sie wie Vieh nach Nyanderhen zu treiben, und sie dort einzumauern in die knöchern-knorpelige Kuppel seines Doms aus Stahl und Stein.
Calhan kam im Auftrag der Gehirne, und er kam zu Lyzis, weil er ein Bein benötigte, um den Auftrag zu erfüllen, den er erhalten hatte.
Er benötigte ein bestimmtes Bein.
Das rechte Bein der Lady Lyzis.
V
Calhan kam aus dem Osten, und es war Morgen, als er über die Steppen von Ostien ritt, über das borstige, graue Gras, das die baumlose Ebene wie kurzgeschorenes Haar bedeckte. Vor ihm teilten die Krograniten in ihrer verrosteten Mächtigkeit und mit ihren vergletscherten Zackenkämmen die Welt, eine unüberwindliche Barriere, gekrönt von schmutzigen, hochgetürmten Wolken, hinter denen gemächlich die gigantische rote Sonne aufstieg, um später, gegen Mittag, den vierten Teil des violetten Himmels mit ihrem Kirschrund zu bedecken. Regenschleier verwehrten noch den Blick auf die schartigen Muster, die manche der Berghänge zierten und die von den Gehörnten in den Fels geritzt worden waren, nach dem Sieg über die Eisenmänner, nach dem Aufbruch der dolorosen Schiffe und dem Ende der kosmischen Kriege. Es waren furchteinflößende Muster, bizarre Arabesken aus einer anderen Welt, vor denen sich die Nachtmahre verneigt hatten und deren Anblick die Steppenvölker mieden, weil sie wußten, daß sie böse Träume und verschrobene Gedanken brachten.
Calhan schnaubte, während er sich von dem stummen, geschuppten Laufvogel über die Steppe tragen ließ, dem Morgen entgegen, Qu’ail entgegen, in den Regen hinein, der ihm kalt und scharf ins mürrische Gesicht wehte. Es war ein farbloser, dünnstreifiger Regen, armselig im Vergleich zu den faustgroßen Tropfen, die zu Millionen und Abermillionen auf die Wälder und Wiesen, die Hügel und Häuser von Nyanderhen zu trommeln pflegten. Es war die Karikatur eines Regens und allein die Kälte, die ihm innewohnte, vermochte Calhans Abscheu ein wenig zu dämpfen.
»Lauf, Vogel!« zischelte Calhan ungeduldig. »Lauf!«
Und der Vogel lief, und der Regen peitschte Calhan ins Gesicht, und der Wind pfiff ihm um die Ohren, und der Wind war so laut, daß er selbst das Stampfen der hornigen Vogelbeine übertönte. Währenddessen kletterte die Sonne höher, färbte die schmutzigen Wolken, daß sie das Aussehen blutgetränkter Verbände bekamen, und wälzte ihr mächtiges Rund über den violetten Himmel. Die Krograniten wuchsen und schienen nicht mehr mit dem Wachsen aufhören zu wollen, wurden höher und erdrückender, düsterer und zerklüfteter und enthüllten hier und da an den umwölkten Hängen und an den schroffen Steilwänden obszöne Tätowierungen, kosmische Gemälde des Wahnsinns und der Raserei, halb hinter den Vorhängen aus Regenschauern verborgen.
»Ah!« rief Calhan entzückt. »Wie wundervoll widerwärtig! So scheußlich, so schön!«
Der Laufvogel gab keinen Laut von sich. Ihn beeindruckten weder die Berge, noch die Arabesken an den Hängen. Er lief weiter, weil ihm die Gehirne befohlen hatten zu laufen und Calhan nach Qu’ail zu tragen, und schließlich schob sich Qu’ail aus dem regnerischen Dunst hervor, finster und drohend am Fuß der Krograniten, die gleichermaßen finster und drohend die Steppen von Ostien begrenzten.
Endlich, gegen Mittag, als der Regen nachgelassen hatte und die Wolken aufgerissen waren und sich rotes Sonnenlicht wie verwässertes Blut über das Land ergoß, hatte Calhan den wallenden, schwefligen Baldachin aus schwarzem Rauch erreicht. Als hätten sie eine unsichtbare Grenze überquert, hielt der geschuppte Vogel mitten im Laufen an und stemmte die hornigen Krallenfüße in den Boden, daß Calhan kopfüber nach vorn geschleudert wurde und schwer zu Boden stürzte, und dann rannte der Laufvogel davon, zurück in den Osten, zu den schwärenden Sümpfen, aus denen ihn die Gehirne gerufen hatten.
Zornig schrie ihm Calhan Flüche nach, schüttelte drohend die faltige Faust und wünschte der Kreatur immerwährendes Sterben ohne die Erlösung des Todes, und er verfluchte im gleichen Atemzug die Gehirne, daß sie ihm kein gehorsames Reittier für die lange Reise zur Verfügung gestellt hatten. Doch sein Zorn legte sich rasch, schwand von einem Moment zum anderen, als er sich umdrehte und Qu’ail vor sich sah, als der Schwefelgestank in seinen Nüstern ätzte und das lichtlose Schwarz der Rauchglocke ihn mit der
Weitere Kostenlose Bücher