Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
gedacht. Aber was sie vom Götterreich zu wissen glaubte, war in den letzten zwei Tagen mit derart vielen Neuerungen konfrontiert worden, dass sie bezweifelte, jemals wirklich etwas verstanden zu haben.
„Das steht nicht zur Debatte“, antwortete sie. Denn im Gegensatz zu ihren Akkadiern war es den Ahnen nicht gestattet, sich außerhalb ihrer Schutzebenen zu verwandeln.
„Hmm“, grunzte er. „Schade. Dann bleibt mir wohl nichts übrig, als dich zu beschützen.“
„Das musst du nicht. Es gehört nicht zu unserer Abmachung.“
„Stimmt!“ Der König fuhr sich mit der Hand durchs schwarze Haar und stützte die Faust auf seinem Oberschenkel ab. „Im Prinzip könnte ich dich rüberbringen und dann zusehen, wie du von den ersten Löwengreifen in Stücke gerissen oder von Lilitu persönlich verschleppt wirst.“ Ein leichtes Grinsen umspielte seine Lippen, während Jolinas Augen bei diesen Worten unweigerlich größer geworden waren. „Vielleicht beschütze ich dich aber auch einfach nur, weil ich es möchte.“
Als sie ihre Sprache wiederfand, sagte sie: „Dann auf eigene Gefahr. Niemals würde ich das Leben des Satorenkönigs aufs Spiel setzen wollen.“
„Ach, ist kein Ding“, zwinkerte er, plötzlich wieder ganz der Alte. „Und als Bonus werde ich mir außerordentlich viel Mühe geben, deine Abenteuerlust zu befriedigen.“
Jolina hielt seinem aufreizenden Blick stand, versuchte, nicht in diesen unergründlichen Augen verloren zu gehen. Sie spürte, wie sich ihre Brüste an den warmen Samt pressten, als wollten sie von ihm berührt werden. Zu ihrer Rettung unterbrach eine der Dienerinnen die knisternde Stille und deckte den Tisch mit verschiedenen Schüsseln, silbernen Tabletts und Schalen, hob die Deckel von den Gefäßen und ließ die verschiedensten Düfte frei.
Sie ging und Jolina konzentrierte sich aufs Essen, entdeckte Couscous, Fisch, Falafel und Baba Ganoush, ein Auberginenpüree. Außerdem gab es Salate, Oliven, verschiedene Brotsorten. Alles, was auch auf der Erde zu einem typisch orientalischen Essen gehörte. Was es nicht gab, war Besteck.
Daman brach ein Stück vom Fladenbrot ab, tunkte es ins Baba Ganoush und biss davon ab. Als sie ihm nur zusah, entgegnete er ihr mit einem fragenden Blick. „Sag nicht, du weigerst dich, mit den Fingern zu essen.“
„Ich … weiß nicht, wie“, gestand sie.
Der Sator verschluckte sich, hustete und richtete sich auf, ließ das Brot auf den Tisch fallen und strafte sie mit ernstem Blick. „Himmel noch eins! Mädchen, du bist viele tausend Jahre alt! Wie kannst du nicht gelernt haben, mit den Fingern zu essen?!“
„Bei uns wurde allgemein wenig gegessen“, verteidigte sie sich.
Er starrte sie an. „Ein Wunder, dass aus dir trotz dieser Erziehungsmethoden eine halbwegs ordentliche Göttin geworden ist!“
„Wie bitte?!“ Das war jawohl die Höhe! „Halbwegs ordentlich? Du vergisst dich!“
„Ja, ja, wie auch immer“, stöhnte er und verdrehte die Augen. „Mach es mir einfach nach.“
Daman biss erneut vom Brot ab und wandte sich dem Couscous zu, nahm ein Häufchen davon in die Hand, wickelte Falafel und Oliven gekonnt in den festen Gries ein und führte alles als Bällchen zum Mund.
„Es ist köstlich. Probier es doch mal“, bat er mit vollem Mund.
Die Halbgöttin ließ ihren Blick über den Tisch gleiten, während er munter weiter aß. Sie nahm noch eine Dattel aus der Schale und kaute unsicher darauf herum. Auf Damans Gesicht bildete sich ein unterdrücktes Lächeln. Schließlich verlängerte sie den Zeigefingernagel zu einer goldenen Klaue, piekte eine Olive auf und führte sie zum Mund. Er ließ das unkommentiert und sie war ihm dankbar dafür.
Jolina probierte ein paar Krümel Couscous und schmeckte Koriander, Zimt und Kardamom heraus. Doch trotz allem gingen ihr die Bilder von Löwengreifen, Dämonen und sonstigen schrecklichen Kreaturen nicht aus dem Kopf. „Wann warst du eigentlich zum letzten Mal auf der Kehrseite?“
Der Sator schob sich ein Stück Fisch in den Mund und überlegte. „Ist schon ein paar Jahrhunderte her.“
„Und warum warst du dort?“
Er sah sie an. „Ich habe einen Freund besucht.“ Auf ihren verwunderten Gesichtsausdruck hin fuhr er fort. „Es mag für euch das Exil sein, doch für mich ist es nur die Unterseite unserer Welt. Nicht alles dort ist schlecht oder gottesunwürdig.“
Also blieb noch Hoffnung.
Jolina nickte und aß noch eine Dattel. Ihretwegen hätte es sonst nichts weiter
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