Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
fragte Jolina und nahm die dampfende Teeschale zur Hand.
„Ich mag die Lebendigkeit dieser Kultur.“
„Aber nicht die ganze Burg sieht so aus, oder?“ Ihr war aufgefallen, dass der Empfangsbereich und die königliche Halle nichts dergleichen aufgewiesen hatten.
„Ein bisschen rohe Männlichkeit werde ich mir doch sicher bewahren dürfen. Überall derartiger Firlefanz wäre mir dann doch zu viel.“ Er lächelte und setzte zum Trinken an.
Die Halbgöttin pustete in ihre Schale hinein und nippte daran. Der Tee schmeckte sehr süß, schwer mit einer würzigen Note. Sie nahm eine Dattel und biss hinein – Göttin! Wie sie diesen Geschmack vermisst hatte. Honigsüß. Doch es war die Erinnerung, die ihn so besonders machte. In ihrer Kindheit hatte es jeden Tag Datteln gegeben. Nachdem sie und ihre Brüder größer geworden waren, hatte das irgendwann aufgehört. Als Jolina genauer darüber nachdachte, kam es der Zeit von Noahs Abwesenheit nahe. Nachdem er gegangen war, hatte man ihr und Elias sämtliche Gelüste und Vorlieben abtrainiert, zu dem Zweck, ihren Bestien keine Angriffsfläche zu bieten.
Seitdem waren Tausende von Jahren vergangen, in denen sich nie die Möglichkeit geboten hatte, Datteln zu essen. Bis jetzt. Und in diesem Moment dachte Jolina gar nicht daran, ihren Appetit zu zügeln. Sie aß eine weitere, noch eine und noch eine, bis die Schale halb leer war.
Von sich selbst erschrocken schaute sie auf. Daman lächelte, das Kinn auf die linke Hand gestützt hatte er sie beobachtet. „Datteln also. Interessant!“
Sie schluckte das letzte Stück hinunter. „Warum ist das interessant?“
„Nur so.“ Er zuckte mit der Schulter.
„Das ist keine Antwort.“
„Eine andere bekommst du nicht“, zog er sie auf.
„Daman, darf ich dir eine Frage stellen?“
„Solange es mit Datteln zu tun hat, gern!“, grinste er mit spitzen Zähnen.
Jolina machte eine kurze Grimasse, ermahnte sich dann selbst, nicht auf seine Neckereien einzugehen. „Wieso hast du eingewilligt, für mich zu bürgen?“
Er hob seinen Kopf und setzte sich gerade hin. „Warum willst du das wissen?“
Sie senkte den Blick. „Weil ich nicht verstehe, wie du dein Volk allein lassen kannst.“
Der König der Satoren holte durch die Nase Luft und musterte sie. „Mein Volk ist nicht in Gefahr, selbst wenn ich ein paar Wochen fehle. Solange wir unterwegs sind, wird mein Bruder den organisatorischen Teil übernehmen. Ansonsten führen die Satoren hier, auch dank der dir bekannten Schutzmaßnahmen, ein ruhiges Leben.“
Jolina nickte langsam. „Und was reizt dich daran, mich zu begleiten?“
„Darf ich dich zuerst etwas anderes fragen?“ Er beugte sich nach vorn, verschränkte die Finger ineinander und lehnte das Kinn dagegen.
„Bitte“, antwortete sie.
„Warum möchtest du die Kehrseite besuchen?“
Die Halbgöttin legte ihre Hände in den Schoß und überlegte, was sie antworten könnte. Was er wissen durfte. Jemandem, den man nicht einschätzen konnte, sollte man möglichst nichts über die Schwierigkeiten in den Reihen der Götter berichten.
„Überdrüssig all der Regeln und Einschränkungen suche ich nur ein Abenteuer für mich.“
Er zog die Augenbrauen zusammen und unterdrückte ein Lächeln. „Das ist deine Antwort?“
„Eine andere bekommst du nicht“, wiederholte sie seine Worte.
„Und deswegen suchst du das sogenannte Exil auf?“
„Wo gäbe es ein besseres Abenteuer?“, fragte sie und zuckte unbekümmert mit der Schulter. Als würden ihr all die Gefahren keine Angst einjagen.
„Auf der Erde wäre es zumindest ungefährlicher. Und dank deiner eingeschränkten Kräfte sicher nicht minder interessant.“
„Nein, die Erde kenne ich.“
„Und?“ Daman kniff die Augen zusammen.
„Und was?“
„Was stört dich an ihr?“
„Nichts.“
Er betrachtete sie eine Weile. „Kannst du denn kämpfen? Bist du bereit zu töten, wenn es notwendig wird?“
Natürlich war sie davon ausgegangen, dass er das für sie übernehmen würde. Als sie bemerkte, dass sie den Atem angehalten hatte, stieß sie ihn aus. „Ich habe Grundkenntnisse im Nahkampf.“
„Mehr nicht?“, fragte er und beugte sich nach vorn. „Vielleicht … eine kleine, pelzige Geheimwaffe?“
Dass Jolina und ihre Brüder die Bestie ihrer Mutter geerbt hatten, wussten nicht viele. Überhaupt wurde das ganze Prozedere mit den Akkadiern und ihrem Seelenband auch in Enûma unter Verschluss gehalten. Zumindest hatte die Halbgöttin das
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