Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
sich auf dieses Surren in ihrem Körper, auf die Wärme, die von ihr ausging, auf das Licht. In ihrem Herzen ging die Sonne auf, ganz langsam, warf es warmen Firnis auf alles in ihrer Nähe, spendete wohltuende Hitze. Elín fühlte das Brennen auf ihrer Haut. Sie wusste, dass sie leuchtete. Und plötzlich, als öffnete sich eine Tür, lag vor ihr ein Abgrund, so finster, dass es ihr die Luft nahm. Ein Tal, gefüllt von Schrecken, Leid und Angst. Und es war an Elín, Licht in dieses Tal zu bringen, es mit Segen zu überschütten. Doch die Finsternis wich nicht vor ihr zurück, sie griff nach ihr, wollte sie hineinziehen und ihr heilendes Licht aussperren.
Bilder zuckten durch ihren Kopf, mussten Danicas Erinnerungen sein. Elín hörte einen Schrei, klein und zerbrechlich. Er verstummte. Worte, die sie nicht verstand, rauschten an ihren Ohren vorbei. Ein krankhaftes Lachen. Zischlaute wie von einer Schlange jagten ihr einen kalten Schauder über den Rücken. Plötzlich spritzte ihr Blut entgegen. Elín fühlte Ketten, die sich um ihren Körper schlangen, sie ins Dunkel zerrten. Nein!, flüsterte sie. Etwas glitt aus ihrem Körper heraus, eine Seele. Danicas Seele. Sie wurde wieder in den Abgrund geworfen. Doch Elín erwischte ihre Hand im letzten Moment und zog sie an sich, presste den knochigen Körper fest an ihre Brust und versuchte so viel Licht wie nur möglich aufzubringen, versuchte die kalte Haut zu wärmen. Es musste doch gehen!
Vollkommen unerwartet holte sie eine tröstende Berührung zurück aus dieser Vision. Die Akkadia hob die Augenlider und schaute auf Danica hinab, die wie ein Kind in ihren Armen lag, die sie, ohne es zu merken, umarmt und geherzt hatte. Doch sie schlief noch immer.
Elín erkannte, dass Ju hinter ihr stand und die Hand auf ihre Schulter gelegt hatte. Er sah besorgt zu ihr hinab. Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen und holte zitternd Luft.
„Was ist passiert?“, fragte er.
Elín wusste es nicht, schüttelte benommen den Kopf und sagte: „Ich … hatte gehofft, ihr helfen zu können. Aber da ist einfach … zu viel! Zu viel Leid! Zu viel Kummer! In ihr sieht es aus wie in der Hölle. Ich schaffe das nicht.“
„Mach dir keine Sorgen.“ Sie sah ihn an. Er konnte erstaunlich mitfühlend sein. „Manche Wunden brauchen mehr als ein Licht, um zu heilen.“
Elín schaute wieder auf Danica hinab, die kein bisschen besser aussah, und fand ihre Gabe vollkommen unnütz.
„Hier“, sagte Ju und hielt ihre Sachen hoch. „Zieh dich an, bevor du noch blau anläufst.“
„Nimmst du sie?“ Die Akkadia in ihre Armen wog so gut wie nichts. Elín hob sie ein wenig an und legte sie in Jus Arme. Es gäbe wohl keinen sichereren Platz auf der Erde.
Sie stand auf und zog sich an. „Steht das ‚Borg‘ noch?“
„Ja.“
„Und? Wie sieht´s da aus?“
„Als wäre ein tonnenschwerer Löwe durch ein Fenster gesprungen“, sagte er mit einem kleinen Lächeln. „Aufgeregte Polizisten, gaffende Menschenmassen – alles vor Ort. Und keiner weiß, was los war.“ Jetzt lachte er.
„Ich weiß es noch sehr gut.“ Zum ersten Mal amüsierte sich Ju über etwas, das ihr wie ein Klumpen im Magen lag. Und Elín wusste selbst nicht, was sie davon halten sollte. „Wie bist du an die Sachen gekommen?“, fragte sie, weniger aus Neugier, mehr, um sich abzulenken.
„Ich habe gewartet, bis niemand mehr im Zimmer war.“
Sie nickte. „Und Selene und Roven?“
„Mit denen treffen wir uns gleich.“
„Und dann? Was machen wir mit ihr?“ Elín schlüpfte in die Schuhe und deutete auf Danica.
Der Akkadier ließ seinen dunklen Blick über den Körper gleiten, der in seinen Armen viel kleiner aussah als in Elíns, und zog die schwarzen Augenbrauen zusammen. „Wir müssen einen Platz für sie finden. Einen Ort, an dem sie geschützt ist und auch für niemand anderen eine Gefahr darstellt.“
Elín stand auf. „Schwierig. Da war sie hier fast besser aufgehoben als an der Oberfläche.“
„Ja.“
An diesem frühen Februarabend spazierte Roven mit seiner Gefährtin durch Reykjavíks Straßen und fühlte nichts als Glück.
Obwohl Elíns Bestie kurz davor gewesen war, ein Blutbad anzurichten. Obwohl sie Danica gefunden hatten, in einem Zustand, der vermuten ließ, dass sie sich womöglich nie wieder erholte. Und obwohl sie sich einem Feind gegenübersahen, von dem niemand wusste, wo er sich aufhielt und wie sie ihn besiegen sollten. Alles, was er in sich spürte,
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