Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
ihm zu laben. Elín holte zitternd Luft, während seine Augenlider immer schwerer wurden.
Hatte sie ihn wirklich umbringen wollen?
Das musste sie unbedingt mal mit Naham klären. So ging das nicht weiter!
Ju ließ sie hinunter. Schweigend folgten sie den anderen.
Decke und Wände des Kanals bildeten einen leichten Bogen und waren aus Steinen gebaut, die dank der ständigen Feuchtigkeit Flecken, Schimmel und Algen aufwiesen. An den Stellen, wo das Gemäuer ausgeschlagen oder abgesackt war, hatte sich Restwasser angesammelt. Es roch modrig und wurde nicht besser, je tiefer sie kamen. Elíns Leuchten ebbte langsam ab, was die Finsternis für alle zurückholte. Sie musste sich konzentrieren, um etwas zu erkennen, schärfte ihre Sicht, doch es wurde immer dunkler. Plötzlich ergriff Ju ihre Hand und ließ ihr Herz schneller schlagen. Das allein genügte.
Elín erkannte mindestens sechs Quertunnel, die von diesem hier abführten. Der erste lag nur wenige Meter entfernt und ging nach rechts. Doch die knapp zwei Meter hohe Öffnung wurde von einem Gitter versperrt. Links folgte ein weiterer. Auch hier war die Umzäunung noch intakt. Im Inneren dieser Schächte konnte man absolut gar nichts erkennen. Vermutlich hatte Danica einen anderen Weg genommen.
Selene fing an zu laufen und erfüllte die eisige Stille mit dem Geräusch von spritzendem Wasser, durchquerte die Pfützen bis zum nächsten Kanal, überprüfte ihn und rannte weiter. Die anderen folgten. Ju ließ ihre Hand los. Und Elín schaffte es, ihre Nachtsicht aufrechtzuerhalten. Sie stieß weiße Wolken aus und verlangte ihren Muskeln alles ab, die aufgrund der nassen Kleidung viel zu kalt waren. Die Dunkelheit rauschte feucht über ihr Gesicht. Neben den flackernden Schatten der anderen waren nur Schritte und Keuchen zu hören. Die Umgebung kam ihr unwirklich vor, nicht greifbar. Ihre Augen spannten vor Anstrengung, alles aufzunehmen und scharf zu stellen.
Die Akkadier passierten weitere Tunnel. Und keiner wies irgendeine Veränderung auf. Der Hauptkanal vollzog eine leichte Rechtskurve, zumindest fühlte es sich für Elín so an. Sicher war sie sich nicht.
Stinkender Rauch bildete sich von einer auf die andere Sekunde. Die Akkadia rannte hindurch und spürte den Schwung der Klinge hinter ihrem Rücken. Fauchen und Schreie durchbrachen die Finsternis und holten Elín zurück in die Realität. Sie duckte sich unter dem glänzenden Schwert eines zweiten Taryk. Doch bevor sie angreifen konnte, hatte er sich schon wieder aufgelöst.
Elín wirbelte herum und stemmte ihren Arm gegen das heransausende Eisen, das bis zur Elle ins Fleisch vordrang und einen schrillen Schmerz durch ihre Adern jagte. Ihre Augen glommen auf und beleuchteten die Fratze des Seelenreißers – schwarze Iriden in einem dunkelgrauen Gesicht, das mehr aus Knochen denn aus Fleisch zu bestehen schien und von schwarzem, zotteligem Haar eingerahmt wurde.
Sie gab einen Schreckenslaut von sich und stieß die Klauen ihrer rechten Hand nach vorn, in der Hoffnung, seinen Hals zu erwischen. Doch dann war dort nur noch Rauch. Elín drehte sich um sich selbst, darauf gefasst, das der Taryk jede Sekunde wieder auftauchen könnte, und nahm die Kampfgeräusche der anderen nur am Rande wahr. Ein brennender Stich durchzuckte ihre Wade und ließ sie stolpern. Die Akkadia fuhr herum und schlug die schmale Klinge beiseite, bevor sie sich in ihre Brust bohren konnte, fiel rückwärts und stieß den Angreifer mit beiden Füßen nach hinten. In ihrem Blickfeld tauchte ein zweiter auf, dessen Schwert auf ihre Kehle herunterschnellte. Elín rollte zur Seite und hörte den Aufschlag neben ihrem Ohr, griff mit den Händen nach dem Bein des Taryk und brachte ihn neben sich zu Fall. Mit Schwung schlug sie ihren Schuh auf dessen Brust, packte das Schwert in seiner Hand und führte es seitwärts durch den Hals. Über ihr erschien der erste wieder. Er handelte so schnell, dass Elín keine Zeit blieb.
Sie dachte zu langsam.
Ihre Instinkte versagten.
Und als die Klinge kurz davor war zuzustechen, wurde sein hagerer Körper von einem hellen riesigen Etwas zur Seite geworfen.
Elín starrte ins Leere, brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, dass ihr nichts fehlte. Plötzlich herrschte zu viel Ruhe vor. Sie prang auf und schaute sich um. Von Selenes linkem Arm tropfte glitzerndes Blut hinab, ohne dass sie es beachtete. Roven säuberte sein Breitschwert am Ledermantel.
Wo war Ju?
Elín wirbelte herum und sah ihn mit
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