Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
war Zufriedenheit. Und der Grund dafür ging neben ihm her.
Selenes bläulich schimmerndes Haar flatterte im kalten Wind. Sie zog den Kragen ihres Mantels fester um den Hals und kniff die Augen zusammen. Plötzlich schaute sie auf eines der Schaufenster und blieb davor stehen.
Es enthielt Uhren und Schmuck. Roven umarmte sie von hinten und spähte an ihrem Kopf vorbei ins Innere des Fensters.
„Suchst du etwas Bestimmtes, Naiya?“
„Siehst du die Uhr dort hinten mit dem roten Armband? Die ist schick!“
„Mhm“, machte er und küsste ihre Wange, hatte seinen Blick aber auf etwas vollkommen anderes gerichtet. Zwei schwarze Ringe, deren Oberfläche mit einem goldenen Muster verziert war. Und als er in der Spiegelung der Scheibe beobachtete, wie Selenes Augen an der Uhr hafteten, wusste er, wie sehr sie sich ein Stück Normalität wünschte.
Wieso war er da nicht früher drauf gekommen?
Er versuchte so sehr, ihr diese unsterbliche Welt näher zu bringen, dass er vollkommen vergaß, wie schön die Welt der Menschen war.
„Dann kaufen wir die Uhr“, schlug Roven vor.
„Nein“, sagte Selene und schüttelte den Kopf. „Wozu brauche ich eine Uhr? Das wäre unsinnig.“
„Warum soll das unsinnig sein?“
Sie zuckte in seiner Umarmung mit den Schultern. „Na, weil ich mich nicht mehr nach irgendwelchen Zeiten richten muss. Wann die Sonne auf- und untergeht, verrät mir mein Instinkt. Von daher …“
Roven konnte den Unmut in ihrer Stimme kaum überhören. Er würde ihr diese Uhr kaufen, und zwar nur, weil sie ihr gefiel, nicht, damit sie einen Zweck erfüllte.
Ein Schrei holte ihre Aufmerksamkeit zurück auf die Straße. Sie drehten sich um und sahen hinüber zum ‚Arnarhóll‘ Park. Im Schutz der Bäume konnte er Ju und Elín erkennen. Und Danica, die sich in den Armen des Akkadiers wandte und fürchterliches Gebrüll von sich gab.
Roven zog Selene an sich und teleportierte sie beide kurzerhand hinüber, genau in dem Moment, als Ju die Unsterbliche nicht mehr halten konnte. Sie stürzte los, durch den Park. Ju und Elín nahmen die Verfolgung auf. Und Roven und Selene blieb nichts übrig, als es ihnen gleich zu tun.
„Wieso hast du sie losgelassen?!“, rief er dem Tibeter zu, der langen Schrittes über den nassen Boden hetzte.
Ju drehte sich im Lauf um und antwortete mit heiserer Stimme. „Sie schrie etwas von ihrem Sohn.“
Ihre Blicke verweilten aufeinander. Die Akkadier dachten das gleiche – eine Spur zum Halbblut!
„Hier?“ Niemals hätte Roven diesen Bastard in der Hauptstadt vermutet.
Thanju antwortete nicht, schaute stattdessen wieder nach vorn.
Danica stolperte wie eine Besessene aus dem Park heraus, genau auf den alten Hafen zu, an dem die Fertigstellung der neuen Konzerthalle ‚Harpa‘ in den letzten Zügen steckte. Schon von Weitem konnte man die schillernde Glasfassade erkennen, in der sich einzelne Laternen wie ein Meer aus Orange spiegelten. Der moderne Bau besaß riesige Ausmaße, würde dank dieser einzigartigen Außenfassade aber dennoch filigran wirken. Nur außen herum sah alles nach Baustelle aus.
Im gleichen Moment beschloss Roven, mit Selene irgendwann mal ein Konzert hier zu besuchen.
Danica überquerte die kaum befahrene Straße, sprang in den ersten Baugraben hinein und rannte weiter Richtung Wasser. Vorbei an der ‚Harpa‘ folgte sie der breiten Sandstraße, die den vielen Baufahrzeugen diente, scherte nach rechts, ohne ihr Tempo zu verlangsamen. Und noch ehe jemand reagieren konnte, war sie am Hafenbecken angelangt, schaute kurz auf das schwarze Wasser hinunter – und sprang.
Thanju kam stolpernd zum Stehen und erwischte Elíns Jacke mit einem gezielten Griff, bevor sie hinterher fallen konnte. Roven und Selene stoppten ebenfalls und starrten auf die dunklen Wellen des Nordatlantiks hinab, warteten drei Sekunden. Doch Danica tauchte nicht wieder auf.
„Was jetzt?“
„Wir müssen hinterher.“ Es war Selene, seine Frau, die das sagte. Sie ging ein paar Schritte nach hinten und holte tief Luft.
„Warte!“, rief er entgeistert und stellte sich ihr in den Weg. „Du kannst doch nicht –“
„Roven!“, fiel sie ihm ins Wort und griff nach seinem Mantel. „Wir verlieren Zeit. Es ist nur Wasser! Was soll mir passieren?!“ Sie schob ihn beiseite, nahm Anlauf und sprang kopfüber in die See, tauchte noch einmal kurz auf, um Luft zu holen, und verschwand in der Schwärze.
Elín zuckte mit den Schultern und sprang hinterher. Ju ebenfalls, ohne
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