Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
bieten mussten. Nach einem trägen Blinzeln waren sie in der Menge verschwunden.
Kurz darauf legte sich eine breite Pranke um Selenes Hals und hob sie hoch, bis ihre Füße in der Luft hingen. Sie sammelte ihre Kräfte ein letztes Mal und trieb die rechte Hand bis zum Anschlag in den Bauch des Halbbluts. Niemals würde sie sich kampflos ergeben. Ihr Gegner fauchte, etwas, das Taryk nie taten. Doch er war zum Teil Akkadier. Leider nicht genug.
Während Selene versuchte, ihre Wunde im weichen Fleisch zu vergrößern, brachte ihr ehemaliger Mörder sein Maul so dicht an ihren Mund, dass sie den stinkenden Atem riechen konnte. Das Saugen, was folgte, kannte sie nur zu gut. Ihr Innerstes schien zu zerfallen und gehorchte dem Drang, ihren Körper zu verlassen und in seinen überzugehen. Mit einem schmerzhaften Reißen lösten sich Selenes Seelen los und strömte durch ihren Atem hindurch nach draußen. Sie verlor die Kontrolle über sich selbst und versank in einem grauen Schleier. Das Herz hörte abrupt auf zu schlagen. Ihr Blutkreislauf geriet in Stillstand. Und sie hoffte, dass Jolina Recht behalten würde. Dass das Halbblut gleich merken würde, welch schlechte Wahl es mit ihrer Seele getroffen hatte.
Wie ihr Leib kraftlos zu Boden fiel, spürte Selene kaum. Aber sie hörte Roven brüllen. Zumindest glaubte sie, dass er es war.
Der letzte Taryk verpuffte zu schwarzem Nebel und gab Thanju freien Ausblick auf die Szenerie dahinter. Ein ohrenbetäubender Krach erfüllte die Halle, vibrierte durch die tausend Eier und brachte einige zum Fallen.
Es waren die Schreie des Halbbluts.
Roven stand mit gezogenem Schwert vor ihm und betrachtete, wie der gewaltige Körper von Krämpfen geschüttelt wurde. Im Gesicht des Akkadiers stand der blanke Hass. Doch erst, als Ju Selene am Boden entdeckte, wurde ihm klar, was geschehen war.
Der Taryk musste ihre Seele geschluckt haben. Ihre vergiftete Seele – das war Selenes besondere Gabe als Akkadia. Damit brachte sie jeden Seelenreißer zu Fall. Blieb nur die Frage, ob das Halbblut die Seele verzehren konnte oder ob sie ihre Wirkung zu entfalten vermochte.
Doch was den Tibeter momentan wesentlich mehr interessierte, war Elíns Gesundheitszustand. Egoistisch und Folge seiner Gefühle. Und er stand dazu.
Ju durchquerte die Halle, während der letzte übrig gebliebene Taryk um sein Leben kämpfte, sich am Boden wand und schwarzen Rauch erbrach, kniete sich neben seine Solan und hob sie hoch auf seinen Schoß. Elín öffnete die Augen und sah ihn müde an.
„Es tut so weh“, murmelte sie abwesend.
„Ich weiß.“ Er ergriff Selenes Kurzschwert mit der linken Hand und zog es aus dem kleinen Körper heraus.
Elín schrie und langte nach seinem Mantel. Und ihr Schmerz fuhr ihm wie ein eigener durch den Körper.
„Schon gut, Ma Khashi. Das wird wieder. Du musst dich nur ausruhen.“
Ju hielt seine Gefährtin an sich gedrückt und wiegte sie mit aller Zärtlichkeit, die er aufbringen konnte, während ihr Bewusstsein langsam in Ruhe verfiel und sich auf die Heilung konzentrierte.
Vom Halbblut kamen gurgelnde Laute zu ihnen hinüber.
Es kroch über den Boden, als könnte es vor dem Schicksal fliehen. Doch unter der dünnen Haut waberte grünes Gift sichtbar durch alle Gefäße und tötete, was einst Teil seiner Selbst gewesen war. Tötete den eigentlichen Taryk in ihm.
Aus den Poren sickerte schwarzes Blut, bis von dem blassen Körper kaum noch mehr zu sehen blieb. Das Halbblut drehte sich auf den Rücken und gab ein langgezogenes, halb ersticktes Brüllen von sich. Umklammerte seinen Brustkorb, als wäre er kurz davor zu zerreißen. Plötzlich schoss Selenes Seele wie ein grüner Geist aus dem Maul hervor und ließ den sterbenden Körper zurück, tanzte in der Luft, als könnte sie sich nicht entscheiden, wohin sie wollte. Roven betrachtete die Seele mit ängstlicher Faszination. Scheinbar war sie seit Selenes Wandlung um einiges stärker geworden. Und den dichten Qualm durchzogen nun goldene Fäden.
Ju hoffte, dass der Geist zu Rovens Gefährtin zurückkehren würde. Das musste sie doch! Oder?
Der grüne Rauch begann hin und her zu wiegen, streifte die Eier, die irgendeine Tarykkönigin vor kurzem hier abgelegt hatte. Womöglich Assora. Vielleicht auch nicht. Und Ju blieb im wahrsten Sinne des Wortes der Mund offen stehen, als ein Ei nach dem anderen verpuffte. Der Laich war Selenes Gift ausgeliefert. Die Nachkommen starben. Einfach so. Aufgrund ihrer Berührung. Es war
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