Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
riskieren.“
Der Sator wandte sich von ihr ab und ging weiter. Und Jolina fragte sich, welche Folgen ihre Abenteuerlust noch mit sich brachte. Sie vertraute Damans Urteil, hatte aber nie damit gerechnet, dass ein persönliches Anliegen solche Kreise ziehen würde.
Mit einem unguten Gefühl im Magen stieg sie den sandigen Pfad zur Prozessionsstraße hinab.
Wie auf Erden so war auch diese Passage mit den schönsten Steinreliefs geschmückt. Nur gab es hier eine größere Auswahl an dargestellten Mythenwesen, Geschöpfe, die in Enûma lebten, von denen aber bislang kein Mensch erfahren hatte.
Golden hoben sich die Bildnisse von den tiefblauen Ziegeln ab, stellten Löwen, Stiere, Mischwesen dar, die den Weg wie eine Armee säumten. Vorbei an den vielen mächtigen Türmen näherten sie sich dem eigentlichen Tor. Noch zeigten die Hüter keinerlei Reaktion, schienen sich auch an dem Stier nicht zu stören. Doch Jolina traute diesem Idyll nicht.
Goran sah auf und entdeckte sie, hob eine behaarte Pranke zum Gruß und kam ihnen entgegen, wobei der einzelne Ring in seiner Schnauze bei jedem Schritt wippte. Er trug silberne Metallspitzen auf den Hörnern, einen beweglichen Schuppenpanzer um die Brust und einen Kettenschutz an den Oberschenkeln. Schwere Stiefel komplettierten das ritterliche Auftreten und erzeugten bei jedem Schritt ein respekteinflößendes Donnern. Je näher er kam, desto größer wurde er. Erst jetzt, im Stehen, erkannte Jolina, dass der Alimbû mindestens zwei Köpfe größer war als Daman. Sie hob den Blick, als er vor ihnen stehenblieb und sich kurz verneigte.
„Jolina. Daman.“ Seine Stimme schallte noch genauso volltönig wie vor zwei Tagen – warm und tief.
„Mein Freund“, grüßte der Sator und klopfte Goran auf die massigen Schultern. „Danke, dass du uns begleitest.“
„Es ist mir eine Ehre.“ Er schlug sich mit der Faust auf die Brust und verbeugte sich erneut. „Nie hat es mir mehr Freude bereitet, für jemandes Schutz zu sorgen.“
„Goran, ich weiß nicht, wie ich dir danken kann“, ergriff Jolina das Wort.
„Aber eine Göttin braucht mir doch nicht zu danken!“, antwortete er lachend. „Es ist mir sowohl Bedürfnis als auch Vergnügen, Jolina.“
Sie wusste, dass es für ihn eine Schande wäre, wenn sie diesen Schutz ablehnen würde. Also nahm sie es hin. Der Alimbû war ein erwachsener Mann und, wie nicht zu übersehen, groß und stark. Er konnte seine Entscheidungen selbst treffen.
Die Halbgöttin antwortete, wie es von ihr erwartet wurde. „So wisse dich in meiner Achtung und meinem Wohlgefallen.“
Er nickte feierlich und schaute dann wieder zu Daman. „Bereit?“
Der König der Satoren warf Jolina einen kurzen Blick zu. Irgendetwas ging vor sich. Etwas, dass er ihr verheimlicht hatte.
„Wofür?“, fragte sie in strengem Tonfall.
„Den Wegzoll“, antwortete Daman und übergab dem Alimbû erst den Rucksack, dann Schwert und Messerscheiden. Er öffnete die Haken seiner Metallweste und stülpte sie ab, zog sich das schwarze Hemd über den Kopf und die Stiefel aus und stand schließlich nur noch in Lederhose bekleidet vor ihnen.
Auf ihren skeptischen Blick hin sagte er: „Keine Sorge, kleine Göttin. Ist nicht das erste Mal für mich.“ Der Sator zwinkerte und ging langen Schrittes auf die Noéri zu.
Mit aufkommender Angst beobachtete Jolina, wie sich seine Haut verdunkelte, die Muskeln an Schultern und Rücken größer wurden und seine Hörner hell glänzend in die Höhe strebten. „Was hat er vor?“, fragte sie atemlos.
„Er geht durch das Feuer.“
Jolina sah zur Seite, hinauf in das stierhafte Gesicht seines Freundes. Aus den warmen Augen war der Glanz verschwunden, stattdessen neigte sich das braune Fell darüber zu einem sorgenvollen Ausdruck.
Da erwiderte er ihren Blick. „Das ist die Prüfung, um hindurchzugelangen. Nur ein Sator ist dazu in der Lage, da nur die Männer des Feuervolkes den blauen Flammen der Noéri standhalten können.“
Sie schaute nach vorn, als Daman kurz davor war, den Torbogen zu erreichen. „Heilige Mutter.“
Mit einem ohrenbetäubenden Knall erwachten die Hüter von Baskhardan zum Leben. Das starr wirkende Gold ihrer Körper beugte und dehnte sich. Jeder Fuß zuckte einmal, unter der Oberfläche dieser übermannshohen Beine schienen Muskeln zu arbeiten. Der metallene Lendenschutz wurde von einer leichten Böe in Unruhe gebracht und der Bauch jedes Einzelnen spannte sich an, als sie die Hellebarden auf den Boden
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