Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
Vor ihr lag ein in Beige gefliester Küchenbereich, der eher für kleine Mahlzeiten dienen musste als für große Bankette. Sie schaute um die Ecke des Torbogens in den Raum hinein und fand sowohl Daman als auch seine Dienerin, die ihr gestern die Gewänder gebracht hatte.
Der König stand mit verschränkten Armen an eine Theke gelehnt und beobachtete die Zofe mit gerunzelter Stirn, während sie einen Rucksack füllte. Als er bemerkte, dass sie nicht mehr allein waren, schnellte sein Kopf zur Tür.
„Jolina! Guten Morgen.“ Er rückte von der Theke weg und löste die Arme. „Hast du gut geschlafen?“
Die Halbgöttin nickte und kam einen Schritt in die Küche hinein. Damans Dienerin verneigte sich knapp, packte dann weiter.
„Wann wollen wir los?“
„Bald“, antwortete er. „Je mehr vom Tag übrig bleibt, desto besser.“
Jolina wollte gar nicht erst wissen, warum. „Mir ist der Gedanke gekommen, dass ich vielleicht eine Waffe bei mir tragen sollte.“
„Womit kennst du dich aus?“ Er stellte es also nicht in Frage.
„Nun … in meiner Kindheit lernte ich den Umgang mit Schwert und Schild. Aber der Bogen lag mir immer besser.“
Damans schwarze Brauen hoben sich. „Ein Bogen?“ Er nickte und schien zu überlegen. „Ich glaube, ich hätte etwas Passendes.“ Der Sator kam mit langen Schritten auf sie zu. „Warte hier.“
„Erteile mir keine Befehle“, entfuhr es ihr und noch während sie das sagte, tat es ihr leid. Sie sollte ihn nicht vor seinen Dienerinnen maßregeln.
Der König blieb neben ihr stehen und atmete langsam durch die Nase ein. „Verzeiht, Halbgöttin. Ich vergaß mich. Tut, wonach immer Euch der Sinn steht!“
„Das war schon wieder ein Befehl“, lachte sie und hoffte, dass er es ihr nicht übel nahm.
Daman verdrehte die Augen, ohne dass die Zofe es sehen konnte, grinste kurz und verschwand. Als diese mit dem Rucksack fertig war, sah sie auf und Jolina direkt an. Mit einer überraschenden Kälte in den Augen. Und sie dachte nicht daran, den Blick zu senken.
„Möchtest du etwas sagen?“, fragte die Ahne und hob ihr Kinn.
Die Augen der Dienerin verengten sich tatsächlich! Eine absolute Frechheit! Wusste sie denn nicht, wen sie vor sich hatte?!
Jolina ging einen Schritt auf sie zu, um zu verdeutlichen, dass sie ihr Verhalten ganz und gar nicht guthieß.
Doch die Zofe lächelte nur. „Natürlich nicht“, säuselte sie und verneigte sich, genau in dem Moment, als Daman wieder zu ihnen stieß.
„Was hältst du hiervon?“, fragte er und hob einen geschwungenen Reflexbogen in die Höhe, der aus schwarzem Holz und hellem Horn geschichtet war.
Dieser Bogentyp ermöglichte nicht nur ruhige Schüsse, sondern besaß auch einen höheren Wirkungsgrad als Lang- oder Flachbögen, da die zurückgewundenen Wurfarmenden mehr Energie speicherten und damit kraftvollere Schüsse erzeugten. Hätte Jolina wählen dürfen, wäre ihre Entscheidung gleich ausgefallen.
Die Halbgöttin verdrängte das unangemessene Auftreten der Zofe, nahm die Waffe zur Hand und prüfte das Gleichgewicht – perfekt ausbalanciert. Auch die Sehne erwies sich als einwandfrei. Jolina stemmte ein Ende des Wurfarms auf die Fliesen und versetzte den Bogen unter Spannung, zog die Schnur nach oben, führte das Sehnenauge mit ruhiger Hand zum anderen Ende des Holzes und legte es in die Kerbe ein.
Sie warf Daman einen kurzen Blick zu, griff in den Köcher, den er in der zweiten Hand hielt, und marschierte samt Bogen und Pfeil an ihm vorbei Richtung Altan. Auf den wenigen Metern dorthin steigerte sich ihre Vorfreude zu einem Schwarm Schmetterlingen.
Jolina trat durch den offenen Torbogen hinaus in die kühle Morgenluft und erspähte ihr Ziel in Form eines abgestorbenen Baumes, der weit entfernt am Rande des Waldes stand, den sie gestern auf dem Weg hierher durchquert hatten.
Mit der linken Hand nahm sie den Griff der Waffe und platzierte den Pfeil darüber, streckte den Arm aus, legte drei Finger der rechten an die Sehne und zog sie zusammen mit dem Geschoss kraftvoll nach hinten, in Richtung ihres Mundes, wobei auch das Holz eine starke Beugung vollzog.
Ihr war, als hätte sie erst gestern den letzten Bogen in den Händen gehalten.
Die Halbgöttin unterbrach ihren Atem, fixierte ihr Ziel und fühlte in die Spannung des Bogens hinein, gab die Sehne dann frei – und lauschte dem sirrenden Geräusch, als wäre es Musik.
Und der Pfeil folgte seiner Flugbahn, durchbohrte die Rinde des anvisierten Baumes und
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