Lichtpfade - Die Chroniken der Akkadier II (Gesamtausgabe)
Winzigkeit in ihre Haut bohrte.
„Ahh! Du –“
„Oh, du bist wach“, grinste er hinter ihr.
„Böser Marasch!“, tadelte sie ihn spielerisch und rieb sich die Stelle, an der sein Biss schon wieder verheilt war.
„Entschuldige, Naiya!“ Er küsste sie zur Wiedergutmachung genüsslich auf den Mund, betrachtete sie einen Moment und richtete sich schließlich auf, musste dieses Gespräch endlich hinter sich bringen.
„Was hast du?“ Selene konnte spüren, dass ihn etwas bedrückte, und setzte sich ebenfalls auf. Gefühle zu verheimlichen war bei Gefährten nicht möglich.
Er holte tief Luft und drehte sich zu ihr um, ergriff ihre schlanken Hände und fixierte ihre wunderschönen dunkelroten Augen. „Ju und Elín haben in Island eine Entdeckung gemacht.“
Allein das Wort ‚Island‘ löste einen Sturm von Gefühlen in Selene aus. Angst, Panik, Entsetzen. Dieselben Gefühle, die auch in ihm aufwallten, bei der Erinnerung an das schreckliche Bild – ihr makelloser Hals, der durch Metall geöffnet wurde, direkt vor seinen Augen, ohne dass er hätte reagieren können. Sie war gestorben.
„Sprich weiter“, sagte seine Gefährtin tapfer und riss ihn von der Vergangenheit los.
„Sie haben zwei Leichen gefunden und Ju vermutet, dass sie durch das Halbblut getötet wurden.“ Halbblut – so hatten sie den fremdartigen Taryk genannt, der Danicas Schoß entsprungen war und Selene getötet hatte. Eine Mischung aus Akkadier und Seelenreißer, in seiner Stärke unberechenbar.
„Dann müssen wir ihn aufhalten.“ Selene versuchte sich nichts anmerken zu lassen und erkannte selbst, dass dies sinnlos war. „Du weißt, dass ich Angst habe. Aber vor diesen Dingen laufe ich nicht mehr weg. Gefährliche Wesen zu töten gehört nun mal zu meinen Aufgaben.“
Roven hatte sich bisher nicht damit anfreunden können, dass Selene morden musste, wo sie als Mensch selbst für die Taryk einen gewissen Grad an Mitleid aufgebracht hatte. Doch als Akkadia durfte sie nicht mitfühlen. Und das störte ihn. Dass sie Dinge tun musste, die nicht in ihrer Natur lagen.
Letztes Jahr zu Weihnachten, vor ihrem ersten Ausflug ins taryküberfüllte London, hatte er ihr ein Kurzschwert geschenkt – handgefertigt mit einer fünfunddreißig Zentimeter langen, aus Carbonstahl gefalteten, schwarzen Klinge. Der Griff bestand aus afrikanischem Grenadillholz und trug die Inschrift Bâham Annori – ‚Vereint vor Göttern‘. Es war eine schöne Arbeit und Selene hatte sich auch darüber gefreut. Seine Frau sollte nicht mit bloßen Händen töten müssen. Doch jedes Mal, wenn sie gemeinsam jagten und Selene einen Taryk ins Jenseits beförderte, spürte er die Last, die sich wie ein Klumpen in ihr bildete. Und sie sprach nicht mit ihm darüber.
„Sicher“, begann er grimmig. „Wir müssen ihn erledigen, bevor er noch weitere Opfer fordert. Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass du uns begleiten musst.“
„Das will ich aber.“
Roven nickte betrübt. „Okay.“
„Wann geht’s los?“
„Wenn alles bereit ist, kommende Nacht.“
Selene schluckte. „Gut.“
„Komm her, Solan. Ich will dich bei mir haben.“
Sie lächelte verkniffen und legte sich auf seinen Schoß. Zu weinen würde ihr helfen. Aber damit hatte sie sich schon früher schwer getan. Stattdessen lag sie einfach nur da, ließ sich von ihm streicheln und blickte ins Leere.
Und nicht nur ihre Angst schnürte ihm die Kehle zu, sondern auch seine eigene. Davor, sie ein zweites Mal zu verlieren.
Elín hatte von Freiheit geträumt, von Liebe, von Heimat. Und immer wieder sein Gesicht gesehen.
Doch mit den Gefühlen Ju gegenüber war sie allein. Ihre Bestie war anderer Meinung. Zumindest kam es ihr so vor. Obwohl Naham diese tiefe Leidenschaft in sich trug und dem Akkadier gegenüber auch schon gezeigt hatte, war sie in den letzten Stunden nicht bei Elín gewesen. Und das fühlte sich falsch an, fühlte sich einsam an. Machte sie etwas falsch? Hatte sie ihr Tier unbewusst vor den Kopf gestoßen?
Keine Antwort.
Naham ließ sie allein.
Elín öffnete die Augen und kuschelte sich an den warmen Körper, der sie von hinten umschlang. Warum erkannte ihre Bestie nicht, wie gut er ihr tat?
Weil er noch nicht bereit ist und dich verletzen wird, hörte sie eine Stimme in ihrem Kopf.
Ju bewegte sich und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. Mit klopfendem Herzen lauschte Elín dem Gefühl, das sich dabei gebildet hatte – eine Mischung aus Verzückung und Angst.
Sie
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