Lichtschwester - 8
in dem
Unrat. Zum Glück kümmerten sich die Trolle nicht darum. Sie
waren völlig mit sich beschäftigt: Ein Junges spielte mit zwei Stei-
nen, ein Weibchen würgte anverdautes Fleisch hoch und stopfte es
ihrem Kleinen in den Schlund. Das war eine der Überraschungen
für Edyth gewesen: daß Trollinnen ihre Jungen nicht säugten - ja,
daß sie überhaupt Junge hatten … Ein paarmal hatte sie gesehen,
wie sich welche paarten - ganz schnelle, leidenschaftslose Vereinigungen, ein paar Stöße, ein zufriedenes Grunzen, nicht mehr.
Aber jetzt kam Unruhe auf - das eine Junge hatte zufällig einen
hellen Funken geschlagen und ließ die Steine schreiend vor Angst
fallen. Die Trolle fürchteten das Feuer wohl ebenso wie das Licht
der Sonne.
Edyth konnte sich ein Lachen nicht verbeißen. Das ließ einen in
ihrer Nähe hockenden Troll den Schädel heben und mißtrauisch
die breiten Nüstern blähen. Da schlug sie rasch die Augen nieder
und blickte bemüht auf das traurige Häufchen, das sie eben unter-
sucht hatte. Ein paar Habseligkeiten eines Reisenden vielleicht,
der im Jahr zuvor getötet worden war. Sie nützten ihm jetzt nichts
mehr. Aber ihr auch nicht.
Sie zitterte schon vor Erschöpfung. Wie lange würde sie hier noch
durchhalten? Irgendwann, eines nicht mehr fernen Tages, würde sie in einen Dämmerschlaf fallen, aus dem es kein Erwachen gäbe.
Dann würden die Trolle, die ja auch keine Skrupel hatten, ihre
eigenen Toten aufzufressen, ihr das Fleisch von den Knochen na-
gen und das Mark daraus saugen.
Aber sie wollte leben. Sie wollte es warm haben, sauber gewaschen
sein und saubere Kleider tragen: wieder ein Mensch sein. Aber das
war ausgeschlossen, solange sie den Schatz nicht gefunden hatte,
den…
Schwindel überkam sie wie eine Woge, verwischte ihre Erinne-
rung. Manchmal wußte sie nicht einmal mehr so richtig, wer sie
war! Sie klammerte sich an ihr Amulett, jetzt fiel es ihr wie
Schuppen von den Augen - der Reif, König Elessens Armreif …
Ja, sie erinnerte sich nun wieder! Der Armreif, und wenn sie den
fand … eine unvorstellbar große Belohnung für sie!
Sie erhob sich und schlurfte in die tiefsten Tiefen der Höhle, wo
fast völlige Dunkelheit herrschte, und forschte nach noch älteren
Hinterlassenschaften. Denn die Legende berichtete, daß die Trolle
seit unzähligen Generationen in diesen Gängen hausten und in all
der Zeit nicht nur die Reste ihrer Opfer, sondern auch gewaltige
Schätze angehäuft hatten. Das hatte ihr Nemian gesagt. Schätze
… die mußten hier irgendwo versteckt sein …
Edyth erwachte, als die Trolle rings um sie aufstanden. Aber eine
bleierne Müdigkeit lag auf ihr. Diese Kälte und der Hunger hatten
ihr ja alle Lebenskraft geraubt. Ihre leeren Därme krampften sich
schmerzhaft zusammen. Ich muß heute nacht endlich etwas zu
essen bekommen, dachte sie, etwas Gehaltvolleres als eine tote
Ratte …
Fröstelnd trottete sie hinter ihren Trollen her zum Ausgang - und
erstarrte vor Staunen: Denn der mit verkümmerten, bizarren
Bäumen bestandene Berghang, auf den sich die Höhle öffnete, war
mit Reif bedeckt, und er glitzerte im Schein des eben aufgegange-
nen Mondes wie ein Tuch aus abertausend Diamanten. Gierig sog
sie die kalte, frische Luft ein, um einen klaren Kopf zu bekom-
men.
Nun hörte sie aus der Höhle hinter sich schrilles Wehklagen. Als sie sich umdrehte, sah sie, daß eines der Weibchen den Jungtroll
verprügelte, der zuvor schon Ärger gemacht und gehabt hatte.
Wohl seine Mutter, überlegte Edyth, als sich der Geprügelte
schmollend ins Dunkel trollte. Er war zu klein, um mit ihnen die
schützende Höhle zu verlassen.
Edyth spähte wieder in die Nacht. Die meisten anderen waren
schon losgezogen, und sie sah die plumpen Wesen im Dunkel ver-
schwinden. Diese Kreaturen sind trotz ihres schwerfälligen Gangs
ganz schön schnell, dachte sie, als sie jetzt ihrer Fährte folgte. Die
Beine brannten ihr vor Kälte, wurden nun aber rasch taub und
gefühllos. Von Hungerkrämpfen gebeugt, rannte sie bergab, und
bald humpelte sie auch.
Da hörte sie tapsige Schritte hinter sich - und als sie keuchend
kehrtmachte, sah sie den Jungtroll, der noch kleiner war als sie, auf
ihrer Spur einhergetrottet kommen. Er blieb mit einem leeren,
idiotischen Grinsen vor ihr stehen und grunzte einen Gruß.
»Verschwinde!« flüsterte Edyth barsch und gab ihm einen kräfti-
gen Stoß. »Marsch, zur Höhle zurück! Ich bin ja nicht deine Mut-
ter!«
Aber der Jungtroll
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