Lichtschwester
Wolfsgestalt, im glänzenden, in vielerlei Grau
prächtig schimmernden Sommerfell vor ... Sie hörte das Geheul, das sie zu ihrem Aufbruch angestimmt hatten, den melancholisch rauhen Abschiedsgruß. Das Gebell war so wirklich. Sie vernahm es wieder in diesem Augenblick, aber nun klang es wie Gelächter - oder gar wie Spott und Hohn?
Östlich des Morgens, hatte die Hexe des Rudels versprochen, wirst
du dich auf vier Beinen fortbewegen, ja, Sofyia, das hat mir die
Mondin gesagt. So war sie wochenlang nach Osten gewandert,
immer weiter nach Osten, und sie hatte jeden Morgen gehofft, die
Sonne hinter sich aufgehen zu sehen. Aber das war nicht gesche-
hen, und nun müßte sie wohl mit dem haarlosen, schwachen Leib
sterben, den sie ihr ganzes Leben lang verabscheut hatte.
Nun gut. Sechzehn Jahre vergeblichen Sehnens nach der Ver-
wandlung waren genug. Der Ufersand war ihr ein weiches Kissen,
das sanfte Plätschern der Wellen beruhigend wie ein Herzschlag.
Nein, es war kein schlechter Ort zum Sterben!
Das Gebell hob wieder an, so real, so real, aber lauter und näher
jetzt, und nun wurde es zum freundlichen Winseln. Kalte Schnau-
zen stießen sie an und beschnüffelten ihr Haar, ihre Hände. Für
einen Moment vermeinte Sofyia, sie sei wieder zu Hause oder
werde nach ihrem Tod unter dem häßlichen grauen Himmel der
Fremde von den Wölfen des Jenseits begrüßt.
Oh, wenn sie sich doch erheben könnte, um ihren Gruß zu erwi-
dern ! Aber dieser Fluß hatte sie den letzten Funken Kraft gekostet.
Nun erklang ein schweres, dumpfes Clop-Clop-Clop-Clop-Pong —
wie das Poltern aufeinander purzelnder Melonen ... Gleich darauf
wurde es vom Geräusch beschuhter Füße abgelöst. Sie näherten
sich rasch, hielten nun dicht hinter ihrem Kopf.
»Hoho, Mädchen, was ist denn das? Wen habt ihr denn da gefun-
den?« hörte sie jemanden rufen. Die kalten Schnauzen ließen von
ihr ab. »Brave Mädchen!« Sofyia spürte Finger so heiß wie Feuer
in ihrem Nacken, witterte den Geruch von Mensch und von etwas
anderem, was aber wieder schwächer wurde und mit einem sich
entfernenden Clop-Clop-Clop-Clop schwand.
Als sie aufblickte, sah sie über sich das wettergegerbte Gesicht
einer Frau, die blaue Augen und blonde, zur Krone gesteckte Zöpfe
hatte. Was für ein prächtiges Fell die nach der Verwandlung haben
müßte! Die Frau war von zwei enormen Hündinnen flankiert, die
den Kopf so hoch hielten wie sie und hechelten und schnüffelten.
Oh, die kalten Schnauzen, die sie geweckt hatten ... Sie sahen
anders aus als ihre Stammesgenossen: Sie hatten einen schmalen
Kopf und hohen Rücken, und durch das seidige, rot gescheckte
Langhaarfell zeichneten sich scharf Rückgrat und Rippen ab ...
»Ich danke euch, himmlische Schwestern«, grüßte Sofyia in
Wolfssprache zuerst die beiden, wie es sich ja gehörte. Aber die
Hündinnen grienten nur und erwiderten kein Wort. Waren Engel
denn so blöde?
Nun kniete sich die Fremde vor Sofyia hin und half ihr aufsitzen,
nahm ihren weiten Umhang ab, der so blau wie der Nachthimmel
bei Vollmond war, und hüllte die Frierende darin ein. Dann hielt
sie ihr einen prall gefüllten Schlauch an den Mund, und Sofyia
trank. Es war starker Wein, und ihr wurde gleich etwas wärmer.
»Ich heiße Sofyia«, sagte sie in ihrer Menschensprache, »und
danke dir von Herzen.«
»Man nennt mich Nitra. Ich bin die Anführerin der Jägerinnen
von Sauromatien«, erwiderte die Fremde. Nun sah Sofyia, daß sie
eine weiße, mit vielen blauen Pferdeköpfchen bestickte Bluse trug.
Wie seltsam, sein Gewand mit dem Bild eines Beutetieres zu
schmücken! Auch ihre Reithosen aus derbem dicht gewebtem
Stoff waren damit verziert ... und ihre hohen Schnürstiefel mit den zahllosen Haken prangten in demselben Nachtblau wie die kleinen Pferdeköpfe.
»Wo bin ich?« fragte Sofyia mit heiserer Stimme.
Die Frau lächelte freundlich. »Genau östlich des Morgens.«
Sofyia keuchte und ergriff frohlockend ihre Hände. »Da kannst du
mir ja helfen?«
»Natürlich!« rief die Fremde verdutzt. »Denkst du, ich würde dich
hier einfach liegenlassen?« Sie faßte Sofyia unter und hob sie so
mühelos wie eine Welpe auf, blickte sich nun stirnrunzelnd um und pfiff laut durch die Zähne. »Turek! Wo bist du denn schon
wieder?«
Jetzt trabte ein Tier herbei, in dem Sofyia den zuvor gewitterten
Grasfresser erkannte. Ein Pferd - wie peinlich, daß ihr das nicht
gleich klar gewesen war! Seine
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