Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lichtschwester

Lichtschwester

Titel: Lichtschwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
Vom Netzwerk:
der Stamm aufbricht, zu neuen Jagdgründen zieht, nehmen alle für diese Reise Wolfsgestalt an, und dann stehe ich zurück. Meine Eltern müssen mir von ihrer Beute abgeben ... und dabei sollte ich doch für sie jagen, da sie bereits alt und fast zahnlos sind. Und ich darf mir kein Männchen suchen, obwohl ich jetzt volljährig geworden bin. So bat ich die Hexe, bei der Mondin Hilfe und Heilung für mich zu erfragen. Und jetzt ist es soweit: Heute Nacht werde ich mich erstmals in eine Wölfin verwandeln«, sagte sie, und ihr Herz sang vor Hoffnung bei diesen Worten.
      »Die Wolfleute«, murmelte eine der Jägerinnen nachdenklich.
  »Also gibt es die Neuri noch!«
      Nitra kniete vor Sofyia nieder und faßte sie an den Armen. »Was
hat die Hexe dir gesagt? Was genau.?«
      Da beugten sich alle übrigen Sauromatierinnen interessiert
vor.
      »Die Hexe hat mir versprochen, östlich des Morgens würde ich
mich auf vier Beinen fortbewegen«, erklärte Sofyia.
  »Nun, da hat sie nicht gelogen«, lachte, nun eher freundlich, die
Jägerin, die sie »Hündin« und »Wölfin« geschimpft hatte. »Nitra
hat gesagt, du seist auf allen vieren aus dem Morgen gekro-
chen !«
      »Ich kroch nicht aus dem Morgen«, fuhr Sofyia auf, »sondern aus einem Fluß.«
      »Aus dem Fluß Morgen«, versetzte Nitra ruhig.
      »Was?« fragte Sofyia. Ihre Sprachen ähnelten einander sehr - aber hatte sie das eben richtig verstanden?
      »Du bist nicht östlich des Morgens, sondern östlich des Flusses
Morgen.«
      Sofyia war für einen Moment sprachlos. Dann flüsterte sie:
  »Wollt ihr damit sagen, die Hexe hätte mich hinters Licht geführt?  
      Aber als Priesterin der Mondin wird sie mich doch nicht anlügen!«
      »Auch ich bin Mondpriesterin, und ich sage dir, niemand gelangt
hinter den Sonnenaufgang.«
      »Nein, das kann nicht sein«, beharrte Sofyia mit bebender Stimme.  
      »Der ganze Stamm hat mir Lebewohl gesagt ... Meine Mutter und mein Vater und meine Brüder und Schwestern ... ich kann nicht glauben, daß sie mich auf eine Reise in den Tod schickten!«
      Nitra schüttelte nur bedauernd den Kopf.
      »Wenn die Mondin erst am Himmel aufsteigt, werde ich die Kraft zu meiner Verwandlung schöpfen«, versetzte Sofyia entschieden. 
      »Ihr werdet ja sehen ... ich laufe bald auf vier Beinen zu meinem Volk zurück!«
      »Man hat dich hereingelegt und dich zum Narren gehalten«, sagte die Scharfzüngige, die sie eine »Wölfin« gescholten hatte.
  »Und selbst wenn du es schaffst, all die Flüsse wieder zu durchqueren und heimzukehren ... deine Leute sind inzwischen ja schon längst weitergezogen.«
      »Das glaube ich dir nicht«, entgegnete Sofyia steif. »Ich werde hier am Feuer warten, bis ich die Kraft zum Gestaltwandel in mir spüre.«
      »Laßt uns allein«, befahl Nitra. Da kamen alle Jägerinnen – sogar die Spötterin - zu Sofyia und klopften ihr verlegen, aufmunternd auf die Schulter und zogen sich dann zurück. Nur Nitra blieb. Und als der Mond über die Berge stieg, saß sie noch immer schweigend am Feuer und starrte nachdenklich in die Flammen.
  Und Sofyia? Sie wartete auf den Lustschauder, das unwillkürliche Gefühl, das laut ihrer Familie Verwandlungen ankündigt. Der Mond stieg um eine Handbreit und noch um eine und noch ... Es war ein schöner voll gerundeter Mond, wie geschaffen, ihr diese ersehnte Kraft zu geben ... Aber nichts dergleichen geschah, und irgendwann mußte sie sich eingestehen, daß all ihr Hoffen vergeblich gewesen war. Die tiefe Verzweiflung, die sie am Fluß gespürt, befiel sie erneut, ergriff von ihr Besitz und umschloß ihr Herz gleich einer starken Faust und quetschte es aus, bis ihr nichts mehr blieb als ihr Leid.
      Da warf sie den Kopf in den Nacken und heulte aus tiefster Seele zum Himmel auf. Aber ihr Geheul erleichterte und befriedigte sie nicht, da es ja nur eine Nachahmung war, die aus einer unheilbar menschlichen Kehle kam. Sie war nun östlich des Morgens und würde sich trotzdem nicht verwandeln können ... Traurig zog sie die Knie hoch, begrub ihr Gesicht zwischen den Beinen und verharrte lange in dieser Haltung. Als ihr aber nach einer Zeit bewußt wurde, daß Nitra ja auch noch da war und sie bestimmt beobachtete, flüsterte sie: »Bitte geh. Du mußt dich bald verwandeln, und ich könnte es nicht ertragen, das mit anzusehen.«
  »Ich gebiete über keinen Zauber!« erwiderte Nitra.
  »Du bist keine Werwölfin?«

Weitere Kostenlose Bücher