Lichtschwester
forschte nach noch älteren
Hinterlassenschaften. Denn die Legende berichtete, daß die Trolle
seit unzähligen Generationen in diesen Gängen hausten und in all
der Zeit nicht nur die Reste ihrer Opfer, sondern auch gewaltige
Schätze angehäuft hatten. Das hatte ihr Nemian gesagt. Schätze
... die mußten hier irgendwo versteckt sein ...
Edyth erwachte, als die Trolle rings um sie aufstanden. Aber eine
bleierne Müdigkeit lag auf ihr. Diese Kälte und der Hunger hatten
ihr ja alle Lebenskraft geraubt. Ihre leeren Därme krampften sich
schmerzhaft zusammen. Ich muß heute nacht endlich etwas zu
essen bekommen, dachte sie, etwas Gehaltvolleres als eine tote
Ratte ...
Fröstelnd trottete sie hinter ihren Trollen her zum Ausgang - und
erstarrte vor Staunen: Denn der mit verkümmerten, bizarren
Bäumen bestandene Berghang, auf den sich die Höhle öffnete, war
mit Reif bedeckt, und er glitzerte im Schein des eben aufgegange-
nen Mondes wie ein Tuch aus abertausend Diamanten. Gierig sog
sie die kalte, frische Luft ein, um einen klaren Kopf zu bekom-
men.
Nun hörte sie aus der Höhle hinter sich schrilles Wehklagen. Als sie sich umdrehte, sah sie, daß eines der Weibchen den Jungtroll
verprügelte, der zuvor schon Ärger gemacht und gehabt hatte.
Wohl seine Mutter, überlegte Edyth, als sich der Geprügelte
schmollend ins Dunkel trollte. Er war zu klein, um mit ihnen die
schützende Höhle zu verlassen.
Edyth spähte wieder in die Nacht. Die meisten anderen waren
schon losgezogen, und sie sah die plumpen Wesen im Dunkel ver-
schwinden. Diese Kreaturen sind trotz ihres schwerfälligen Gangs
ganz schön schnell, dachte sie, als sie jetzt ihrer Fährte folgte. Die
Beine brannten ihr vor Kälte, wurden nun aber rasch taub und
gefühllos. Von Hungerkrämpfen gebeugt, rannte sie bergab, und
bald humpelte sie auch.
Da hörte sie tapsige Schritte hinter sich - und als sie keuchend
kehrtmachte, sah sie den Jungtroll, der noch kleiner war als sie, auf
ihrer Spur einhergetrottet kommen. Er blieb mit einem leeren,
idiotischen Grinsen vor ihr stehen und grunzte einen Gruß.
»Verschwinde!« flüsterte Edyth barsch und gab ihm einen kräfti-
gen Stoß. »Marsch, zur Höhle zurück! Ich bin ja nicht deine Mut-
ter!«
Aber der Jungtroll scherte sich nicht darum, sondern hechelte und
keuchte Edyth glückselig und zufrieden an. Da holte sie tief Luft
und humpelte den Kerlen nach die Spur hinab, die in einem dich-
ten Fichtenwald verschwand. Von den Trollen war bald auch
nichts mehr zu hören, dafür aber, von fern her, das Geheul eines
Wolfsrudels - ein vielstimmiger Chor, der Edyth Mark und Bein
gefrieren ließ. Dahin sind die Trolle wohl unterwegs, dachte sie
schaudernd. Die Kerle gehen lieber Aas suchen als jagen, obwohl
sie ja bärenstark sind ... Der Hang wurde nun so steil, daß sie nur
noch von Baum zu Baum taumeln konnte. Aber dafür war es hier
auch nicht mehr ganz so kalt.
Am Fuß des Hangs drehte sie sich um und starrte keuchend zu-
rück. Ob sie es zur Trollhöhle hinauf überhaupt wieder schaffen
würde? Sie kämpfte sich weiter, durchs dickste Dickicht - sank
aber nach einer Weile vor Erschöpfung und Verzweiflung in die
Knie. Das war sinnlos, dazu reichten ihre Kräfte einfach nicht. Ihr
war so wirr im Kopf, und für einen Augenblick wußte sie nicht mehr, warum sie dort war. Das Amulett, es hatte etwas mit dem
Amulett zu tun, das sie am Hals trug - ein Schatz ...
Ein schauriges Wolfsgeheul, ganz in ihrer Nähe, ließ sie entsetzt
auffahren. Sie blickte gehetzt um sich und hielt nach irgendeiner
Art Waffe Ausschau, mit der sie sich die Bestien vom Leib halten
könnte. Sie hatte einmal mit eigenen Augen gesehen, wie ein Ru-
del einen Hirsch riß, wie die Wölfe huschten, sprangen, zu-
schnappten, dem noch lebenden Tier die schimmernden und
dampfenden Därme aus dem Bauch zerrten, und dann all das Blut
im Schnee! Davonzulaufen würde nichts nützen ...
Oh, warte! Da war es wieder, das Geheul eines Rudels auf der Hatz
- aber das einer Hundemeute! Hunde - Menschen! Sie war geret-
tet!
Erleichterung überkam sie, und sie schrie mit brüchiger Stimme:
»Hierher! Zu Hilfe!«
Der Ranken nicht achtend, die ihr die bloßen Beine blutig rissen,
lief, stolperte sie auf das Hundegebell zu. Plötzlich ging hinter ihr ein Höllenlärm los. Zweige krachten und Steine polterten, und als sie sich umdrehte, sah sie jemanden durch die Büsche brechen und
geradewegs auf sich
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