Lichtschwester
lächelte. »Ich könnte mir keine bessere vorstellen.« Da blickte Sharik von der Mutter zum Kind. Tausenderlei Einwände fielen ihr ein ... Sie und der Junge würden einander nie wieder zu Gesicht bekommen.
Sie würde für ihn nie mehr sein als irgendeine Gestalt in den Geschichten, die ihm seine Mutter erzählte, und er für sie nur eine Erinnerung. Was sollte also so eine Patenschaft? Diese Idee war wirklich lächerlich. Aber irgend jemand mußte bei dieser Namens-gebung für die Mutter sprechen, und welche Falkin gründete schon eine Familie? Bei dem Leben, das sie gewählt hatte, wäre das vielleicht die einzige Art von Kind, die sie je haben könnte.
»Ja«, erwiderte Sharik mit leiser Stimme. »Ich werde beides tun. Darf ich ihn noch einmal halten?«
JENNIFER ROBERSON
Jennifer Roberson schreibt Geschichten, die unverhoffte Wendungen nehmen. Die hier ist eine der raffiniertesten (und subtilsten feministischen) Storys, die ich je gelesen habe; aber, wie gesagt... Jennifer, eine meiner faszinierendsten und auch produktivsten Entdeckungen, schreibt eben überraschende Geschichten.
Sie hat seit ihrem Debüt im Band I der Magischen Geschichten acht Folgen ihrer Cheysuli-Serie geschrieben (sieben davon publiziert) und vier Fortsetzungen ihres ebenfalls in dieser Reihe eröffneten Schwerttänzerzyklus verfaßt. Unter dem Pseudonym Jennifer O'Green hat sie Liebesromane veröffentlicht - wer sich als Schriftsteller seinen Lebensunterhalt verdienen will, muß oft die peinlichsten Kompromisse eingehen. Mir ist es immer ein Rätsel gewesen, warum Schriftsteller so viele seltsame Jobs ausüben ... bis ich darauf kam, daß man als Autor eben keine Stelle anzunehmen wagt, die man nicht binnen zwei Wochen kündigen kann - wenn das große Ereignis eintritt, daß ein Lektor einen unter Vertrag nimmt und einem nun einen Ablieferungstermin setzt.
Jennifer ist mit einem ehemaligen Luftwaffenpiloten verheiratet, der heute Computerspiele entwirft, und hat eine ganze Menagerie in ihrem Haus: einen Labradorhund, einen Walisischen Corgi und eine (wohl siebzig Kilo schwere) Kreuzung aus Deutscher Dogge und Irischem Wolfshund sowie zwei Katzen, »die mit diesen insgesamt gut drei Zentnern an Hundevieh recht gut umzuspringen verstehen«. - MZB
JENNIFER ROBERSON
Fairer Tausch
Halb Kind, halb Frau war sie ... er schätzte sie auf zwölf Jahre, höchstens. Aber halb verhungert und mit einer Verzweiflung in den Augen, die einer Sterbenden angemessener gewesen wäre. Zögernd, wie entmutigt, stand sie auf der Schwelle, unfähig, den Vorhang aus grobem Sackleinen loszulassen, der den Straßenstaub draußen halten sollte aus dieser Kneipe, wo man sich eine Holztür ja nicht leisten konnte. So stand sie da, ihre Hände in das Tuch gekrampft, bis ein Mann hinter ihr auftauchte, sie verfluchte, da sie ihm im Weg war, und den Vorhang beiseite riß. Der Mann wollte ein Bier, und zwar sofort. Und eine Hure, und zwar plötzlich.
Noch ein Blick, ein kurzer Seitenblick, und er schob sich an ihr vorbei, wobei er etwas von kleinen Mädchen murmelte, die gestern noch an der Brust gehangen hätten und sich heute schon ungefragt in Männer-angelegenheiten einmischten. Das Mädchen biß sich auf die Lippe und starrte mit tränenblinden Augen stumm hinter ihm her. Aber dann versiegten ihre Zähren, ihr kleines Kinn reckte sich ... und in ihren schwarzen Augen loderte Entschlossenheit auf. Sie trat steif vom Eingang weg und musterte all die Männer im Raum, und es waren viele: zehn, zwölf oder sogar zwanzig. Sie sah sich jeden einzelnen genau an, wog und maß sie nacheinander, bis ihr Blick endlich auf ihn fiel und sie sah, daß auch er sie anstarrte. Daß auch er sie taxierte. Sie erbleichte, aber dann kam wieder rosiger Hauch in ihr braunes Gesicht. Er erwiderte ihren Blick kühl und gelassen und musterte sie von Kopf bis Fuß: verfilztes schwarzes Haar, das über schmale Schultern fiel, sanft geschwungene Braue, runde Wangen, zu jung noch für jede Derbheit, und ein kleines Grübchen im Kinn. Bei all ihrem Schmutz, ihrer wirren Mähne und ihren entstellenden blauen Flecken war doch zu ahnen, daß sie einmal schön werden könnte ... Wenn sie noch lange genug lebte. Ob sie lange genug leben würde, hätte niemand jetzt sagen können; es wäre jedenfalls
Weitere Kostenlose Bücher