Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lichtspruch nach Tau

Lichtspruch nach Tau

Titel: Lichtspruch nach Tau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: diverse Autoren
Vom Netzwerk:
sich ein menschenleeres, blühendes Land. Es wogte das Getreide. Wohlgenährte Viehherden zogen vorbei, doch gebildete Hirten waren nicht zu sehen. Am Horizont schimmerten silbern die bekannten Kuppeln, Viadukte und Spiralrampen. Ganz nah erhob sich nach wie vor im Westen die Wand.
Jemand berührte mich am Knie, und ich zuckte zusammen. Neben mir stand ein kleiner Junge mit tiefliegenden, leuchtenden Augen.
»Was willst du denn, Kleiner?« fragte ich.
»Ist dein Apparat beschädigt?« erkundigte er sich mit melodischer Stimme.
»Zu Erwachsenen muß man ›Sie‹ sagen«, belehrte ich ihn.
Er war sehr erstaunt, dann erhellte sich seine Miene. »Ach ja, ich erinnere mich. Wenn mich mein Gedächtnis nicht trügt, war das in der Epoche der Zwangsweisen Höflichkeit so üblich. Insofern das Duzen mit deinem emotionalen Rhythmus disharmoniert, bin ich zu jeder für dich rhythmischen Anrede bereit.«
Ich wußte nicht, was ich erwidern sollte, und da hockte er sich einfach vor die Maschine hin, faßte sie an verschiedenen Stellen an und sagte ein paar Worte, von denen ich nicht das geringste verstand. Ein netter kleiner Junge war das, ausgesprochen sauber, sehr gesund und gepflegt, aber für sein Alter kam er mir denn doch gar zu ernst vor.
Hinter der Wand krachte es ohrenbetäubend, und wir wandten uns beide um. Ich sah, wie eine unheimliche schuppenüberzogene Tatze mit acht Fingern sich an die Mauerkrone klammerte, sich zusammenkrampfte, sich öffnete und verschwand.
»Hör mal, Kleiner«, sagte ich, »was ist das für eine Wand?«
Er bedachte mich mit einem ernsten, schüchternen Blick. »Das ist die sogenannte Eiserne Wand«, antwortete er. »Die Etymologie dieser beiden Wörter ist mir leider nicht bekannt, aber ich weiß, daß die Wand zwei Welten trennt: die Welt der Humanistischen Phantasie und die Welt der Angst vor der Zukunft.« Er schwieg eine Weile und fügte dann hinzu: »Die Etymologie des Wortes ›Angst‹ kenne ich auch nicht.«
»Interessant«, sagte ich. »Ob man nicht einmal hineinsehen könnte? Was das für eine Welt der Angst ist?«
    »Gewiß kann man. Dort ist der Kommunikationsgang. Befriedige deine Neugier.«
Der Kommunikationsgang hatte das Aussehen eines niedrigen Torbogens, der mit einer Panzertür verschlossen war. Ich ging hin und faßte unentschlossen nach der Klinke. Der Junge rief mir nach: »Ich muß dich warnen. Wenn dir dort etwas passiert, kommst du vor den Rat der Hundertvierzig Welten.«
Ich öffnete die Tür einen Spalt. Trrach! Peng! Wauh! Aiji-jiji! Du-du-du-du-du! Alle meine fünf Sinne wurden gleichzeitig verletzt. Ich sah eine hübsche, nackte, langbeinige Blondine mit einer obszönen Tätowierung zwischen den Schulterblättern, sie feuerte aus zwei automatischen Pistolen auf einen häßlichen dunkelhaarigen Mann, aus dem bei jedem Treffer das Blut spritzte. Ich hörte das Dröhnen von Explosionen und das nervenzerreißende Gebrüll von Ungeheuern. Ich roch den unbeschreiblichen Gestank faulenden, verbrannten eiweißfremden Fleisches. Der glühende Wind von einer nahen Kernexplosion versengte mein Gesicht, und auf der Zunge spürte ich den widerlichen Geschmack in der Luft verstreuten Protoplasmas. Ich sprang zurück und schlug krampfhaft die Tür zu, wobei ich mir beinahe den Kopf eingeklemmt hätte. Die Luft erschien mir belebend, die Welt herrlich. Der Junge war verschwunden. Ich brauchte einige Zeit, um wieder zu mir zu kommen, doch dann erschrak ich plötzlich bei dem Gedanken, dieser Bengel könnte womöglich gegangen sein, um sich bei seinem Vereinigten Rat zu beschweren, und eilte zur Maschine.
Wieder umschloß mich die Dämmerung der raumlosen Zeit. Doch ich behielt die Eiserne Wand im Auge; die Neugier plagte mich. Um keine Zeit zu verschwenden, sprang ich gleich eine Million Jahre in die Zukunft. Über der Wand wuchs ein Dickicht von Atompilzen empor, und ich war froh, als es auf meiner Seite der Wand wieder hell wurde. Ich bremste und stöhnte auf vor Enttäuschung.
    Unweit ragte der riesige Pantheon-Refrigerator auf. Vom Himmel senkte sich ein verrostetes, kugelförmiges Raumschiff herab. Ringsum war es menschenleer, es wogte das Getreide. Die Kugel setzte auf, heraus kam der blaugekleidete Pilot von vorhin, und auf der Schwelle des Pantheons erschien, ganz voller roter Flecken vom langen Liegen, das Mädchen in Rosa. Sie strebten aufeinander zu und faßten sich an den Händen. Ich wandte den Blick ab – es wurde mir peinlich. Der blaue Pilot und das rosa Mädchen

Weitere Kostenlose Bücher