Lichtspur
Li zu Daahl. »Dann weiß ich, ob ich’s mir leisten kann.«
»Zweierlei. Wenn Ihre Ermittlungen ergeben, dass das Feuer außer Sharifis Tod auch noch andere Todesfälle erklärt, würden wir gern davon erfahren.«
»Ich soll Informationen über eine laufende Ermittlung an Sie weitergeben? Das könnte mich den Job kosten.«
»Wir haben nicht unbedingt ein persönliches Interesse an den Informationen«, sagte Daahl. »Wir wollen nur, dass sie an die Öffentlichkeit kommen.«
»Sie meinen, dass sie im Untersuchungsbericht enthalten sind?«
»In allem, was der Öffentlichkeit zugänglich ist. Wir finden dann schon Mittel und Wege, die Informationen zu verwerten. Stimmt’s, Leo?«
Ramirez nickte. »Wir brauchen Sie wirklich nur, um die Unfallberichte zu aktualisieren.«
»Die Unfallberichte der ABG? Ich kann nicht glauben, dass Sie sich deswegen heimlich mit mir getroffen haben«, sagte Li.
Daahl hob die Augenbrauen. »Dann haben Sie wohl noch mehr vergessen, als dieser Body-Shop-Arzt behauptet hat.«
Li schob ihr Bier in rechtwinkligen Linien über den Tisch, bis auf der zersprungenen Tischplatte ein Rechteck aus Feuchtigkeit zurückblieb. »Im Grunde verlangen Sie also nichts anderes von mir«, sagte sie, »als dass ich meine Arbeit mache. Eine offene Untersuchung über Sharifis Tod. Und diese Unfallberichte. Die ohnehin der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, nicht wahr?«
»Ja. Soweit es die Todesfälle betrifft.«
»Aha. Und was wollen Sie sonst noch?«
Daahl biss sich auf die Unterlippe und warf einen Blick zum Fenster. »Wir brauchen Sharifis Datensatz.«
Li verschluckte sich fast an ihrem Bier, knallte das Glas auf den Tisch und verschüttete die Hälfte. »Sie hat für das Verteidigungsministerium geforscht, Daahl. Solche Arbeiten unterliegen dem Gesetz gegen Aufwieglung und Spionage. Es sind schon Leute erschossen worden, die gegen dieses Gesetz verstoßen haben. Und erschossen zu werden, steht in diesem Jahr nicht auf meiner Liste.«
»Es gibt Dinge, für die es sich lohnt, das Gesetz zu brechen, Katie.«
»Für Sie vielleicht.«
»Die ABG bringt nicht nur Bergleute um. In dem Bergwerk geht etwas vor. In allen Bergwerken. Sehen Sie sich die Produktionsstatistiken an. Betrachten Sie das Verhältnis zwischen den Arbeitsstunden und der Fördermenge aktiver Kondensate. Wir finden dort unten immer weniger aktive Kristalle. Die Schmuggler sagen das schon seit Jahren. Inzwischen sagen es sogar schon einige der Bergleute, die für den Konzern arbeiten. Und Sharifi sagte es auch, bevor sie gestorben ist. Sie hat mir ins Gesicht gesehen und es offen heraus gesagt. Das Anakonda-Bergwerk
stirbt. Alle Kondensate auf Compsons Planet sterben ab.«
»Ach, hören Sie auf, Daahl. Der Sicherheitsrat …«
»… weiß Bescheid«, sagte Daahl und ließ ihr einen Moment Zeit, um die Neuigkeit zu verdauen. »Was meinen Sie, warum so viel in die Forschung an künstlicher Kristallsynthese investiert wird? Und sehen Sie sich die multiplanetaren Unternehmen an, die Kristalle so schnell auf den Markt werfen wie nur irgend möglich, bevor die Quellen erschöpft sind. Wir haben es seit Jahren gesagt und darauf gedrängt, dass etwas unternommen wird. Aber wir können es nicht beweisen. Sharifi hat es bewiesen, sich selbst jedenfalls, und ihr Datensatz könnte uns ein Druckmittel an die Hand geben, um diese Entwicklung aufzuhalten. «
»Das ist doch verrückt«, sagte Li. »Kondensate sterben nicht. Sie brechen. Wie kann das Kristallvorkommen eines ganzen Planeten gleichzeitig brechen?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Daahl. »Aber Sharifi wusste es.«
Einen Moment lang sagten beide nichts.
»Ich werde die Unfallberichte aktualisieren«, sagte Li. »Das ist nur anständig. Es ist mein Job. Aber was das andere angeht …«
»Die Unfallberichte genügen uns vorläufig«, sagte Daahl. »Denken Sie über den Rest wenigstens mal nach.«
»In Ordnung«, sagte Li. »Und wie machen wir jetzt weiter? «
Daahl griff in einen der Stapel auf dem Tisch und zog ein abgenutztes E-Papier hervor. »Lesen Sie das.«
Das E-Papier enthielt zwei Dutzend separate Dokumente, und es dauerte gut zehn Minuten, bis Li sicher war, dass sie sie verstanden hatte. Beim Lesen wurde ihr klar, dass sie hier firmeninterne Unterlagen der ABG vor sich
hatte: Protokolle der Wiegestationen, Zahlungsanweisungen, Produktionsdaten der Aufbereitungsanlage im Orbit. Langsam war ein Muster zu erkennen.
»Jemand manipuliert die Bücher«, sagte sie.
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