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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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anderen Schicht hochgegangen wäre, hätten sich unter den Rettungsmannschaften jede Menge Genkonstrukte befunden – erfahrene Bergleute, die in der vergifteten Luft zumindest lang genug überleben konnten, um einige Überlebende zu bergen. Jetzt aber waren diese Bergleute selbst unter der Erde eingeschlossen und warteten auf ihre Rettung, und die Leute über der Erde brauchten Beatmer. Beatmer, die wahrscheinlich nicht rechtzeitig eintreffen würden.

    Li sah zu den Sanitätern aus Helena hinüber, die sich über den ganzen Sichtungsbereich verteilten, sich über Bahren beugten und Kisten mit Brandbeuteln und Bandagen abstellten.
    »Es werden immer noch zweihundertsiebzig gemeldete Bergleute vermisst«, sagte Ramirez und ließ die Zahl zwischen ihnen in der staubigen Luft hängen. »Vielleicht weitere hundert Freischaffende in den hinteren Tunneln.«
    »Also gut«, sagte Li. »Geben Sie mir nur eine Minute.« Eine halbe Stunde später spürte sie einen Ruck, als der Käfig den Grubenboden erreichte, riss das Tor auf und trat in die Hölle hinaus.
     
    Die Rettung war eine Übung in Sachen kontrolliertes Chaos. Suchtrupps schwärmten vom Einsatzzentrum aus, und wenn sie zurückkehrten, berichteten sie oft, dass sie zwar keine Überlebenden gefunden, aber weitere Retter durch Rauchvergiftung und Steinschlag verloren hatten. Hunde schnüffelten durch den Gestank von Kohlenqualm und verschmorten Stromkabeln und winselten kläglich, wenn die Körper, die sie entdeckten, sich nicht aufsetzten und mit ihnen sprachen.
    Li arbeitete die restliche Nacht Seite an Seite mit Ramirez. Zu ihrer Überraschung konnte er mit ihr mithalten. Mehr als nur mithalten. Ohne eine Verkabelung konnte es nur die schiere Entschlossenheit sein, die ihn zusammenhielt.
    Im Laufe der Nacht bemerkte sie allmählich, dass die Männer am Grubenboden darauf achteten, dass für Ramirez eine Bahre zur Verfügung stand, wenn er eine brauchte, oder ein frischer Wasserbehälter, wenn er seine leeren Flaschen zurückbrachte. Er erfuhr eine Sonderbehandlung, und das aus gutem Grund: Er fand Menschen. Er fand Überlebende und brachte sie in einem Tempo heraus,
das nur bedeuten konnte, dass er Risiken einging, die andere nicht auf sich nehmen wollten.
    Aha. Er war also ein Held – zumindest hier unten. Li staunte längst nicht mehr darüber, was Leute alles taten, wenn Leben auf dem Spiel standen. Sie hatte hartgesottene Veteranen erlebt, die unter Beschuss in sich zusammenbrachen, und sie hatte einige scheinbar weiche Kinder reicher Eltern gesehen, die sich als geborene Helden entpuppten – oder geborene Mörder. Es gab Leute, die waren einfach für Krisenmomente geschaffen. Bisher sah es so aus, als sei Ramirez einer davon.
    Li selbst war eine Überlebende, keine Heldin. Jede Illusion, die sie in dieser Hinsicht gehabt hatte, war ihr damals auf Gilead ausgetrieben worden. Hier unten brauchte sie nichts anderes zu tun als zu atmen. Und genau das tat sie auch, während an der Mündung des Schachts drei Kilometer über ihnen die Nacht dem rauchtrüben Licht des Tages wich.
    Sie und Ramirez überdauerten drei verschiedene Rettungsmannschaften, liefen irgendwann, als es oben dämmerte, McCuen über den Weg und suchten mit ihm weiter. Sie folgten ausgestreckten Fingern und den Wegbeschreibungen heiserer Stimmen. Sie lauschten dem Gebell der Hunde. Sie halfen, Steinschlag wegzuräumen und gefährlich durchhängende Decken abzustützen. Sie hievten lebende und tote Körper hoch, bis sie jemanden fanden, der sie ihnen abnahm.
    Währenddessen überwachten Lis Implantate die kontaminierte Luft, piepsten ihr Warnsignale ins Ohr – die sie ignorierte – und setzten Viruglobuli frei, um die Kontaminationen zu bekämpfen, die ihre Lungen verstopften und durch ihren Körper strömten. Nach den ersten paar Stunden, die sie dieser Belastung ausgesetzt war, überhitzten sich allmählich die Anteile ihrer Implantate, die
nicht aus Keramstahl bestanden, und ihr Orakel schaltete alle nicht lebensnotwendigen Systeme in den Energiesparmodus. Nach einigen Stunden fing sie an, kohleschwarzen, mit toten Viruglobuli durchsetzten Schleim auszuhusten. Nach vierzehn Stunden musste sie wieder an die Erdoberfläche und fast eine Stunde am Sauerstofftank sitzen, um wieder zu Atem zu kommen und ihren Systemen eine Möglichkeit zum Neustart zu geben. Dann fuhr sie wieder nach unten und zwang sich, nicht über den Schaden nachzudenken, den sie sich selbst zufügte, und das Ganze fing wieder

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