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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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von vorne an.
     
    Bei jedem Rettungs- oder Bergungseinsatz, an dem Li je mitgewirkt hatte, war irgendwann der Punkt gekommen, an dem weitere Anstrengungen sich nicht mehr auszahlten. Dieser Punkt konnte nach ein paar Stunden erreicht sein oder erst nach Tagen, aber früher oder später war er unausweichlich. Dann wurde der Eifer, Überlebende zu retten, durch die traurige Pflicht abgelöst, Leichen zu bergen, und allmählich fragte man sich, wozu man eigentlich sein Leben riskierte. Li taten die Hunde immer am meisten leid, wenn dieser Punkt erreicht war, und dieser Rettungseinsatz stellte keine Ausnahme dar. Ihre Reaktionen hatten eine erschütternde Gewissheit an sich: ihr Zögern, das zweifelnde Winseln, das sich unter ihr Gebell mischte, das besorgte Herumlecken an Händen und Gesichtern, die nicht mehr geborgen werden konnten. Selbst ganz am Ende, wenn alle menschlichen Retter die Schotten dicht gemacht und innerlich aufgegeben hatten, konnten sie nicht aufhören zu hoffen.
    Li erreichte ihren eigenen Punkt, an dem alle Anstrengungen sinnlos schienen, irgendwo auf der Ebene 3700 des Anakonda-Bergwerks, als sie durch einen eingestürzten Stollen kroch, einen Pulslokalisator in der Hand, der seit
vierzehn Stunden bei keinem menschlichen Wesen mehr ausgeschlagen hatte. Selbst Ramirez sprach inzwischen davon, dass sie aufgeben sollten.
    Dann kam schließlich doch noch das Signal, an das sie nicht mehr geglaubt hatten: ein Lokalisatorimpuls aus einem relativ unbeschadeten Abschnitt eines Gangs, der ein ganzes Stück abseits der Hauptluftzirkulation lag und daher, hofften sie, vom schlimmsten Rauch verschont geblieben war. Aber als sie den Gang erreichten, fanden sie nur leere Korridore, die sich in die Dunkelheit erstreckten.
    »Was soll das?«, fragte Li. Ihr Lokalisator zeigte immer noch mit einem Piepsen etwas an, das ganz offensichtlich nicht vorhanden war.
    McCuen stieß eine herabgesackte Felsplatte von der Wand und zog die Impulsboje aus einer Nische.
    »Schmuggler«, sagte er, und seine Stimmt wurde durch das Mundstück des Lokalisators gedämpft. »Wenn sie noch leben, dann haben sie in Rufweite der Boje gearbeitet.«
    Li und die anderen beiden starrten sich an und atmeten kaum. Dann fingen sie an zu rufen.
    Als schließlich eine Antwort kam, hielt Li sie im ersten Moment für ein Echo. Sie drehten ihren Schallverstärker bis zum Anschlag auf und hörte es wieder. Es rief jemand, allerdings so leise, dass er sich nicht in ihrer unmittelbaren Nähe befinden konnte – zu leise, als dass man es ohne Verstärker gehört hätte.
    »Psst!«, sagte sie.
    Ramirez und McCuen verstummten und sahen sie an.
    »Was?«, flüsterte McCuen.
    Sie hörte es wieder. Zwei Stimmen, gedämpft von Fels und herabgestürzter Kohle, aber eindeutig zwei Stimmen. Und neben den Rufen ein zweites Geräusch. Ein Summen und Vibrieren, das aus weit geringerer Entfernung kam.

    Sie folgten dem Geräusch durch den Korridor in einen Seitentunnel, der vor einem Deckeneinbruch endete. Und als sie dort noch einmal riefen, glaubten sogar McCuen und Ramirez die Antwort zu hören.
    Sobald sie die Stimmen hörten, spielten sie verrückt. McCuen lief in den Hauptgang, um Hilfe zu holen und die anderen über mögliche Überlebende zu unterrichten. Li und Ramirez suchten in Windeseile alle Balken und Felsbrocken zusammen, die sie mit bloßen Händen herbeischaffen konnten, stützten die Decke ab und scharrten sich durch den Schutthaufen.
    »Na also«, sagte Ramirez, als sie einen Tunnel durch das erste große Hindernis gegraben hatten. Er schnallte seinen Rucksack ab und zog sein sperriges Sicherheitsgeschirr aus. »Ich werde mich da drin mal umsehen.«
    Li schüttelte den Kopf. »Lass das. Ich gehe.«
    »Auf keinen Fall«, sagte er und zerrte an einer störrischen Schnalle.
    Li legte ihm eine Hand auf den Arm. »Du brauchst nichts zu beweisen, Leo.«
    Er hielt inne und starrte sie fassungslos und ein wenig zornig an. Dann packte er das Ende der Leine und verankerte es an seinem Gürtel. »Ich versuche überhaupt nichts zu beweisen«, sagte er, ohne sie anzusehen. »Ich versuche nur diese Leute in Sicherheit zu bringen.«
    Li spürte, dass ihr Gesicht rot anlief. »Wenn du das willst, dann lass mich gehen. Ich bin kleiner und stärker. Und ich kann ohne meinen Beatmer auskommen, wenn es sein muss. Wo immer sie sind, ich habe größere Chancen, sie zu finden, und das ist einfach die Wahrheit.«
    Sie nahm ihm die Leine aus den Händen und zog ein wenig

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