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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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auftauchte, spürte sie Cohen neben sich, in sich. Bist du die Jägerin oder der Vogel?, fragte er. Eine Frage, die nur Cohen stellen konnte.
    Sie sah in Chiaras goldgesprenkelte Augen und dachte, dass die ganze Welt der Vogel war und die Bergleute auch und die Kristalle. Alles, was Menschen gebrauchten und verbrauchten. »Ich glaube, ich bin beides«, sagte sie. Und
sie spürte, dass Cohen die ausgesprochene ebenso wie die unausgesprochene Antwort akzeptierte.
    Statt zu antworten, griff er über ihre Schulter und klaubte eine Grille aus dem Laub, um sie zirpend auf seine ausgestreckte Hand zu setzen. »Enttäuscht?«
    »Nein«, sagte Li.
    »Ist sie nicht schön?«
    »Ist es denn eine sie?«
    »Wir tun ihr den Gefallen und lassen das offen.«
    Er hielt die Hand an einen Sonnenblumenstängel. Die Grille marschierte langsam und voller Würde auf den Stängel, setzte sich und fing an zu zirpen, als sei die kurze Gefangennahme nur ein ganz normaler Spaziergang unter der warmen Sonne gewesen.
    »Wie hast du das gemacht?«, fragte Li.
    »Oh, all das hier bin ich. Es ist ein Anwesen, das ich einmal in Spanien besessen habe. Natürlich existiert es inzwischen nicht mehr. Wir sind in einem meiner Gedächtnispaläste. Was immer die Kristalle mit uns anstellen, sie benutzen dazu meine Netzwerke. Sie haben uns einfach … man könnte sagen, sie haben uns in einem Hinterzimmer abgestellt, während sie das Haus durchsuchen.«
    »Meine Güte.«
    »Ja. Nun gut, ich nehme an, wir können nichts dagegen tun. Und du willst bestimmt nicht wissen, was da draußen vor sich geht. Es hat sehr viel mehr mit dem Schießen von Elstern als mit dem Einfangen von Grillen zu tun.«
    Sie starrte ihn erschüttert an, aber er hatte sich schon über die Grille gebeugt und erzählte, was Grillen taten und verzehrten, wie sie ihre Beine benutzten, um diese phantastischen, unmöglichen Geräusche zu erzeugen. »Sie haben immer heiße, trockene Gegenden bevorzugt«, sagte er. »Spanien. Texas. Wenn man an einem solchen Ort aufwachte, wusste man immer gleich, wo man war.«

    »Sind sie ausgestorben?«
    »Schon lange, lange Zeit vor deiner Geburt, meine Liebe.«
    »Man wird Compsons Planet in eine neue Erde umwandeln. Ein neues Gilead. Und wir können nichts dagegen tun, stimmt’s?«
    »Wir können die Frontlinien neu ziehen.«
    »Höchstens ein bisschen Zeit schinden, Cohen. Ist es das wert?«
    »Für mich schon. Wenn die EBKL das Intraface bekommt. «
    »Und wenn der Preis für das Intraface darin besteht, dass ihr den Planeten an die Syndikate verliert?«
    »Ich hege keinen Groll gegen die Syndikate. Du vielleicht schon. Vielleicht auch aus gutem Grund.«
    Li scharrte mit den Füßen im Dreck und wirbelte aus den Ackerfurchen rote Staubwolken auf. Sie streckte sich Cohen entgegen, spürte seine Form, Ausdehnung und Komplexität. Er kam ihr entgegen, und sie verstrickten sich ineinander und lösten sich wieder. Sie umtanzten einander, wurde ihr klar, errichteten eine neue Mauer für jede, die sie niederrissen, schlossen eine Tür für jede, die sie öffneten. Sie handelten so, als hätten sie alle Zeit der Welt. Dabei hatten sie überhaupt keine Zeit.
    »Cohen?«, fragte sie.
    »Was?« Er war ein Stück weitergegangen, schlenderte zurück und stand ihr gegenüber.
    »Was du auf Alba über … über die KIs gesagt hast. Darüber, wie sie zusammengesetzt werden. Meinst du, dass eine Person solche Gebilde modifizieren kann? Ihren Code ändern? Sie in etwas umwandeln, das sie nicht sein sollte?«
    »Redest du immer noch über Politik?« Sie spürte ein ganzes Bündel von unausgesprochenen Fragen hinter seinen Worten.

    »Nein. Oder … nicht nur über Politik.«
    Er warf ihr einen dieser Blicke zu, die er sich ihr gegenüber in letzter Zeit angewöhnt hatte. Ein Blick, der alles in ihre Hände legte, der alles, was Cohen wollte, vor ihr ausbreitete und ihr keinen Raum für Entschuldigungen und Ausflüchte ließ.
    Sie sah ihm in die Augen. Der Moment, in dem sie hätte lachen, wegsehen oder sich abwenden können, ging vorüber.
    »Ich glaube, eine Person kann versuchen, sich zu ändern«, sagte Cohen. »Ich glaube, schon der Versuch ist etwas wert, auch wenn man scheitert. Ich glaube, schon der Wille zur Veränderung bedeutet etwas.«
    Li strapazierte ihre Nerven, als ob sie sich zwingen würde, aus einem hohen Fenster zu springen. »Ich hoffe, wir kommen hier in einem Stück raus«, sagte sie. Sie konnte sich nicht überwinden, ihn anzusehen, als sie das

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