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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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die Aufzeichnungen ihres Intrafaces beim Kontakt mit den Kondensaten. Und wenn er sie hatte, gab es keinen Grund mehr, Li mit nach oben zu nehmen.
    Haas bemerkte ihr Zögern. »Nguyen ist vielleicht scharf genug auf die Daten, um mit Ihnen Spielchen zu spielen«, sagte er mit gleichgültiger Stimme, »aber mich persönlich interessiert es einen Scheißdreck. Vergessen Sie das nicht.« Er deutete mit einem Nicken auf die Handschellen, die sie bereits um die Handgelenke hatte. »Natürlich könnten Sie sich in ein paar Stunden aus den Dingern befreien. Aber so viel Zeit haben Sie nicht mehr. Wenn ich Sie ohne Luft hier zurücklasse, sind Sie innerhalb von einer Stunde tot. Ich bin Ihre Fahrkarte nach oben, meine Liebe. Sie sollten sich darum bemühen, dass ich keinen Grund zu Klage habe.«
    Li streckte die Hände aus, die Finger weit gespreizt, die Handflächen ihm zugewandt. Er drückte Bellas linke Hand gegen ihre, schloss Bellas Finger um ihre und begann die Datenübertragung.

    Es war ein seltsames Gefühl, als ohne ihre Zustimmung Daten aus ihren Implantaten extrahiert wurden, als Haas ihr den letzten Trumpf abnahm, den sie noch ausspielen konnte. Aber waren die Daten wirklich alles, was sie noch hatte? Es gab noch etwas anderes. Etwas, das Cohen bereitwillig benutzt hatte. Etwas, das sie auch benutzen konnte – wenn sie, so wie Sharifi, bereit war, alles aufs Spiel zu setzen, was sie hatte. Sie zögerte, weil sie wusste, dass der harte Knoten in ihrem Magen nackte Angst war. Dann blickte sie in die kalte, schwarze Grube von Bellas geweiteten Pupillen, und ihr wurde klar, dass sie jetzt schon alles riskierte. Sie schloss die Augen, holte noch einmal zitternd Luft und betrat den Gedächtnispalast.
    Sie verstrickte sich in den Zahlen wie in einem Bündel verknoteter Taue. Programmcode durchfuhr sie, überrollte sie, zog sie in die Tiefe. Sie tastete – zaghaft erst, dann mit größerer Sicherheit – nach den Myriaden intelligenten Systemen, die Cohen ausmachten. Sie spürte ihre zänkischen, keifenden Persönlichkeiten – und den Leim gemeinsamer Ziele, geteilter Erinnerungen, geteilter Leidenschaften, die sie verbanden. Keines dieser funkelnden Bruchstücke war Cohen. Aber sie erinnerten sich an ihn. Sie erinnerten sich an alles, was er gefühlt, gewollt und woran er geglaubt hatte. Und dies hatten sie mit Li gemeinsam, auch wenn es sonst keine Gemeinsamkeiten gab.
    Sie hoffte nur, es würde reichen.
    Sie musste kaum suchen, um die Kommunikations-KI zu finden. Ihre wilde Energie rotierte im Zentrum des Gedächtnispalastes wie ein toter Stern, saugte sie ein, absorbierte die letzten funktionierenden Subsysteme der toten KIs, verzehrte jeden verblieben Rest an Hitze und Wärme und Licht an diesem Ort.
    »Ich brauche dich«, sagte Li. »Ich brauche eine Verbindung nach Freetown.«

    »Ohne die Feld-KI können wir keine Verbindung nach Freetown herstellen. Wir haben kein Netzwerk.«
    »Doch, haben wir«, sagte sie. »Wir haben den Weltgeist. Der Weltgeist kann uns einen Stromraum-Zugang ohne jede UN-Kontrolle oder -Überwachung verschaffen. Wir müssen dafür nur Daahls Netzwerk starten. Wir müssen nur die Arbeit beenden, die Cohen begonnen hat.«
    Ein kalter Schauer durchfuhr die Zahlenkolonnen. »Warum sollten wir?«
    »Weil Cohen es auch getan hätte, wenn er noch hier wäre.«
    »Er war anders. Wir glaubten an ihn. Wir haben ihm vertraut. Er hatte es sich verdient. Du allerdings solltest uns schon eine Gegenleistung anbieten.«
    Also machte sie ihr Angebot.
    Sie bot ihnen das Intraface an. Sie versprach zu tun, was sie Cohen bereits versprochen hatte. Und wenn sie ihr vertraut hätten, wie Cohen ihr vertraut hätte, wäre ihnen klar gewesen, dass sie ihr Versprechen halten würde.
    Sie versprach, die KIs zu befreien.

Anakonda-Lagerstätte: 9.11.48.
    S ie segelte auf Cohens Netzwerken wie ein Falke im Aufwind.
    Sie drehte sich und schoss empor, machte Abstecher in Subnetzwerke, nonautonome Systeme, Kommunikationsprogramme. Sie tastete darüber hinaus in das von atmosphärischen Störungen erfüllte lokale Kommunikationsnetz, das wie ein elektronischer Smog über Compsons Planet hing; in die primitiven Funkanlagen der Bergleute,
nach Helena, in die Orbitstation. Und dann tauchte sie ab, unterwarf sich den dunklen Tiefen des Weltgeistes.
    Sie hatte ganz genau gewusst, dass er auf sie wartete; aber er war nicht mehr die fremdartige, unbegreifliche Präsenz aus der Kristalldruse, die sie fühlte. Stattdessen

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