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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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Sie sah den Ausdruck widerwilliger Faszination in ihrem Gesicht. Sie dachte an den Rückstoß des großen Revolvers, daran, wie eine alte Pistole einem die Gelenke ausrenken konnte und welche Kraftanstrengung es vermutlich erforderte, den Abzug zu betätigen.
    Sie gab Bella die Beretta.
    »Hör zu«, flüsterte sie, hielt eine Hand über Bellas Hand und die Waffe auf den Wachmann gerichtet, während sie
sprach. »Presse die Ellbogen aneinander. Richte den Lauf auf seine Brust. Und wenn er sich bewegt – wenn er auch nur zu schnell atmet –, erschieße ihn.«
    Bella nickte, die Lippen zusammengepresst. Wenn du die Nerven verlierst, sind wir beide tot, wollte Li sagen. Aber sie verlor nicht die Nerven. Es gab so etwas wie zu viel Angst. Und Bella wirkte, als hätte sie diesen Zustand schon halbwegs erreicht.
    Li schloss die Hand um den Colt, spürte sein Gewicht und seinen Schwerpunkt. Sie wünschte bei Gott, sie hätte eine Gelegenheit gehabt, ihn vorher einmal abzufeuern, aber was sie sich wünschte, spielte keine Rolle. Sie warf dem Wachmann einen warnenden Blick zu und arbeitete sich den Stollen entlang auf Kintz zu.
    Der Blick des Wachmanns folgte ihr, verriet Kintz ihre Bewegungen, aber sie konnte nicht viel dagegen tun, außer ihn direkt zu erschießen. Und Kintz konnte sich ohnehin zusammenreimen, was sie tat. Sie musste einfach schnell genug sein. Und so leise, dass er nicht sicher sein konnte, wo sie war und wann sie um die Ecke kommen würde. Sie brauchte keine absolute Überraschung. Nur eine relative. Und ein wenig Hilfe von Bella.
    Eins davon bekam sie.
    Sie schob sich mit den Ellbogen voran um die vorstehende Kante der Isolierung und richtete die Waffe auf Kintz, sobald sie sicher war, dass er sie ihr nicht aus den Händen treten würde. Und dann standen sie sich gegenüber, jeder eine Waffe auf den Kopf des anderen gerichtet. Die nächste Pattsituation.
    »Fallen lassen«, sagte Kintz.
    Statt zu antworten, drosch sie ihm eins über. Sie hatte alles durchdacht, war im Kopf alle Möglichkeiten und Optionen durchgegangen, hatte ihren Plan korrigiert, und jetzt bewegte sie sich so schnell, dass nicht einmal Kintz’
verbesserte Reflexe ihr etwas entgegensetzen konnten. Sie drückte ihn in den Winkel zwischen Isolierung und Felswand, wo er seine überlegene Größe und Reichweite nicht ausspielen konnte, rammte ihm den Fuß in die Weichteile, und als er zusammensackte, holte sie mit der Waffe aus und knallte den Griff gegen seinen Kopf.
    Er war ein zäher Mistkerl. Er verlor nicht das Bewusstsein. Er fiel nicht hin. Er ließ nicht einmal seine Waffe los. Aber er ließ ihren Lauf ein paar Zentimeter sinken – und mehr Spielraum brauchte Li nicht. Bevor er sein Gleichgewicht wiederfand, schob sie ihm McCuens Waffe unter den Kiefer.
    »Raus mit der Munition«, sagte sie.
    Er zögerte.
    Sie spannte den Abzug. Er leerte seine Pistole, und die Patronen hüpften und rollten über den Boden. »Und jetzt fallen lassen.«
    Er ließ ihr die Waffe vor die Füße fallen, ohne den Blick von ihr abzuwenden, und Li beförderte sie mit einem Tritt in den Tunnel. Li und Kintz starrten sich gegenseitig an.
    »Ich will Sie nicht so schnell umbringen«, sagte sie. »Ich will Sie leiden sehen, Sie verdammter Dreckskerl.« Sie sagte es, ohne nachzudenken, und der Klang ihrer eigenen Worte schockierte sie. Aber bei Gott, es war die Wahrheit. Sie hatte mehr Menschen getötet, als sie zählen oder sich erinnern konnte, aber dies war das erste Mal, dass sie wirklich jemanden umbringen wollte.
    »Habe ich Sie erwischt, wo es wehtut, häh? Wer war denn dieses Miststück, dem ich die Kehle durchgeschnitten habe? Noch eine Freundin? Zu schade, dass ich nicht mehr Zeit für sie hatte.«
    Li drückte ihm den Lauf noch tiefer unters Kinn, als hoffte sie, ihn durch schieren Druck zum Schweigen zu bringen.

    »Man wartet auf Sie«, sagte er, den Blick auf ihrem Abzugsfinger. »Sie kommen hier niemals lebend raus, selbst wenn Sie mich umbringen.« Er leckte sich die Lippen. »Besonders wenn Sie mich umbringen.«
    Li trat ein paar Schritte zurück und hielt die Waffe auf ihn gerichtet. In diesem Moment wagte der andere Wachmann einen Vorstoß.
    Li sah es nicht selbst, aber sie sah das sofort wieder unterdrückte Aufblitzen in Kintz’ Augen, das ihr verriet, dass etwas hinter ihrem Rücken vorging. Sie warf einen Blick über die Schulter, behielt Kintz aber im Auge. Der Wachmann schob sich langsam und vorsichtig auf sie zu, den Blick auf

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