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Liebe 2.0

Liebe 2.0

Titel: Liebe 2.0 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mareike Giesen
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keinen
Zweifel darüber, dass ich dringend an meiner Garderobe feilen musste. Nach neun
Geschäften und langem Hin und Her habe ich mich für ein halblanges dunkelblaues
Satin-Kleid entschieden, dazu passende Pumps und dezenten Modeschmuck. Derart
gerüstet, fühle ich mich zu (fast) allem bereit. Und während Martin bereits
seit ein paar Tagen in der Hauptstadt ist und dort den Luxus des ungebundenen
Freigeistes genießt, versuche ich, seinen Vorsprung nun schnellstmöglich
aufzuholen. Ich stelle es mir wundervoll vor, überall dort arbeiten zu können,
wohin man seinen Kopf mit nimmt! Wenn ich nur meinen eigenen über die ganze
Sache hier nicht verliere…
    Nervös blicke ich aus dem Fenster, um mich von dem unruhigen Blubbern in
meinem Bauch abzulenken. Natürlich bin ich froh, endlich aktiv zu werden und
nicht mehr davonzurennen. Das Glücksgefühl, das ich gespürt habe, als ich
Steffi in meiner Phantasie wieder zum Leben erweckt habe, hat eine neue Ebene
erreicht. Ich ergreife die Initiative – und zwar nicht mehr nur für ein
erfundenes, sondern für ein wirkliches Schicksal. Mein Schicksal. Denn auch
wenn ich nicht mit einem einzigen Fingerschnippen den Schnee schmelzen und um
mich herum blühende Landschaften hervorbringen kann, so stehe ich doch der
Realität keineswegs so machtlos gegenüber, wie ich lange Zeit geglaubt habe.
Wieso auch? Neben dem Tod gibt es vielleicht eine Handvoll Dinge, denen wir uns
beugen müssen – der Rest ist allein uns überlassen. Ich habe mich wieder in den
Zug gesetzt und neue Fahrt aufgenommen. I’m on the road again . Und wohin
mich die Strecke am Ende führen wird – nun, das wird sich zeigen.
    Der Zug fährt in den nächsten
Bahnhof ein, um weitere Reisende aufzunehmen. Dick vermummt und schwer beladen
keuchen sie auf der Suche nach einem freien Sitzplatz durch den engen Gang und
bringen dabei einen Schwall Kälte mit herein, der sich jedoch dank der
ausnahmsweise funktionierenden Klimaanlage schnell verteilt. Ich gucke hinaus
auf das Bahnhofsschild und stelle fest, dass ich noch nicht allzu weit gekommen
bin, aber was soll’s. Heißt es nicht, der Weg sei das Ziel? Und solange sich
auf diesem nicht Norman Bates neben mich setzt, bin ich zufrieden.
    Genau in diesem
Augenblick erkenne ich aus den Augenwinkeln, wie einer der neu Zugestiegenen
vor mir stehen bleibt, und kurz darauf höre ich meinen Namen.
    „Julia, bist du
das?“
    Perplex drehe
ich mich um. „Max!“ Meine Stimme kiekst fast, so überrascht bin ich. „Was
machst du denn hier?“
    Er blickt sich
kurz im überfüllten Großraumwagen um und deutet dann auf den Platz neben mir.
„Kann ich mich setzen?“
    „Äh, sicher, na
klar, warte.“ Immer noch völlig überrumpelt räume ich meine Handtasche, den
mp3-Player und diverse Frauenmagazine vom Sitz und biete ihn mit ausladender
Geste an. „Bitte.“
    Max verstaut
zunächst seine Tasche und Jacke in der Ablage über uns. Dabei rutscht sein
Pullover etwas hoch und gibt einen kurzen Blick auf die verführerischen
Feldlinien seines Bauches frei, deren Spur meine Finger so gerne gefolgt sind
und die mich jetzt nichts mehr angehen. Ich kann gerade noch denken, dass er
die Feiertage ohne jede Gewichtszunahme überstanden hat, da besinne ich mich
auch schon auf meine gute Kinderstube und gucke diskret in eine andere Richtung.
    Auf dem
Bahnsteig läuft ein kleines Mädchen auf seine Mutter zu und lässt sich von ihr
herzen und drücken, als wäre dies nicht der letzte Tag des Jahres, sondern der
Menschheit. Ein paar Schritte weiter steht ein Mann und gestikuliert wild mit
der Fensterscheibe unseres ICEs, hinter der sich wahrscheinlich seine Frau oder
Freundin oder Geliebte verbirgt. Abschiednehmen ist grausam, denn irgendwie
findet man nie die passenden Worte, und stets fällt einem viel zu spät ein, was
man noch alles hatte sagen wollen. Aber zum Glück gibt es für so etwas ja meist
ein Wiedersehen.
    Mit einem
Seufzer lässt Max sich neben mich plumpsen, und ich drehe mich wieder zu ihm.
Da sitzen wir nun Seite an Seite und sind einander so nah wie schon lange nicht
mehr. Ich gebe zu, dass mir immer noch nicht ganz wohl neben ihm ist. Dazu ist
einfach zuviel passiert. – Oder zu wenig, wie man es nimmt.
    Ich bemühe mich, möglichst locker zu sitzen und dabei doch keinesfalls zu
dicht an Max heranzukommen. Dabei versteifen sich langsam aber sicher sämtliche
meiner Muskeln, und wirklich atmen kann ich so auch nicht. Das kann ja heiter
werden!
    Um mich

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