Liebe 2.0
haben, strahle ich Max an. Der starrt total verdattert
zurück. Doch dann breitet sich in Zeitlupentempo ein Grinsen auf seinem Gesicht
aus. Verlegen kratzt er sich am Hinterkopf. „O-kay… Gut zu wissen.“
Dann verstummt
er wieder, während die Welt draußen an uns vorbeirauscht.
Max wirkt,
vorsichtig formuliert, etwas verwirrt – was durchaus verständlich ist. Wenn
mich heute jemand anrufen und mir irgendwelche Dinge an den Kopf werfen würde,
die mich vielleicht vor einem Vierteljahr mal interessiert haben, wäre ich auch
erst einmal ratlos. Aber schlussendlich ist es doch der Wille, der zählt. Und
ich hoffe sehr, dass auch Max gewillt ist, uns eine zweite Chance zu geben.
„Bücher“, sagt
er da auch schon.
„Bitte?“
„Was für Bücher
liest du? Ich meine, wenn du mal gerade nicht…“ Er deutet auf meine InTouch und zieht belustigt eine Augenbraue in die Höhe, „… das internationale
Tagesgeschehen am Strand von Malibu mitverfolgst?“
Ich strecke ihm
die Zunge raus und lege beschützend die Hand auf Kim Kardashians Problemzonen.
„Man muss halt immer umfassend informiert sein“, rechtfertige ich mich. „Das
Leben besteht schließlich nicht nur aus Politik. – Und überhaupt: Jetzt bin ich
erstmal dran!“ Mit einem Kopfnicken zeige ich auf Max’ Army-Rucksack, der
zwischen seinen Füßen liegt. „Womit verkürzt du dir die Fahrt?“
Max lacht. „Du
meinst, wenn ich mal keine populär-politisch geschulte Entertainerin neben mir
sitzen habe? Nun, mal sehen…“ Bereitwillig öffnet er seinen Rucksack und packt
ihn vor meinen Augen aus. „Da wäre zunächst einmal die Verpflegung:
Kinderriegel, BiFiund ein Fahrtbier…“
Ich nicke
beifällig. „Sehr gut. Die klassische Ernährungs-Pyramide für unterwegs: das
Beste aus Getreide, dazu Fleisch und eine extra Portion Milch!“
Auch Max nickt.
„Genau! - - - Dann wäre da mein mp3-Player, mein Handy – oh, das sollte ich
vielleicht mal einschalten –, mein Kulturbeutel und ein Paar Socken, das ich
vergessen habe, in die Tasche zu packen…“
„Hah!“
Triumphierend halte ich die SportBild hoch. „Und was ist das ?!“
Gelassen nimmt
Max mir die Zeitschrift aus der Hand. „Fachlektüre. Das Leben besteht
schließlich nicht nur aus Politik.“ Er grinst. „Und außerdem habe ich ja auch
noch das hier…“ Und mit einem überlegenen Lächeln hält er mir einen halb
zerlesenen Dorian Gray unter die Nase.
Hypnotisiert
starre ich auf den Buchdeckel. Damit habe ich jetzt nicht gerechnet. Oscar
Wilde ist mein absoluter Lieblingsautor, und ich muss erstmal schlucken, ehe
ich bemüht lässig abwinke. „Ach komm, wie lahm! Das ist doch nur, um
mitreisende Frauen zu beeindrucken.“
Mich zum
Beispiel.
Aber Max lässt
sich nicht beirren. „Ein warmer Bruder wie Wilde als Womanizer? Da kann man ja
ebenso gut Hitler für den Friedensnobelpreis vorschlagen.“ Er kichert leise.
Doch obwohl ich eine Schwäche für politisch unkorrekte Witze habe, lache ich
nicht mit.
„Die Statuten
besagen, dass der Nobelpreis niemals posthum verliehen werden darf“, entgegne
ich abwesend, während ich weiterhin Dorians bildhübsches Konterfei fixiere, das
mich in seiner ebenmäßigen Perfektion stark an Max erinnert. Ob auch er seine
Seele verkaufen würde, um für immer jung zu bleiben? Nein, das glaube ich
nicht. Dazu besitzt Max im Gegensatz zu Dorian viel zu viel innere Schönheit…
Max starrt mich
zweifelnd an, und nach einer Ewigkeit demonstrativen Schweigens merke auch ich,
dass hier etwas nicht stimmt. Dass hier jemand nicht stimmt. Mit aller Macht
versuche ich, meine Trance abzuschütteln, und wage ein schiefes Lächeln.
„Entschuldige bitte – was sagtest du gerade?“
Sein Blick
bleibt skeptisch, als Max langsam den Kopf schüttelt. „Mal ehrlich: Worum geht
es dir wirklich?“
Verlegen
räuspere ich mich und starte ein Ablenkungsmanöver. „Wusstest du eigentlich,
dass Wilde wegen seiner Homosexualität zwei Jahre ins Zuchthaus musste?“
Max lacht laut
los – Mission geglückt. „Du bist im Klatsch echt bestens bewandert, was?“
„Er macht die
Menschen nun mal menschlicher“, verteidige ich mich zerknirscht und überlege,
wie ich den Eindruck des Gossip Girls ein bisschen relativieren kann. Dann
fällt mir etwas ein. „Hast du mal eines von Wildes Märchen gelesen?“
„Na klar doch,
alle! Die mag ich am liebsten!“
„Wirklich? Ich
auch!“ Ich werde immer nervöser. Es ist ein bisschen so wie damals in
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