Liebe 2.0
trinken?“
Gemeinsam
steuern wir die Pyramide an, und während Tristan und Astrid die nächste Runde
holen, belegen Max und ich einen freien Stehtisch. Es ist merkwürdig, auf
einmal ganz unter sich zu sein, ohne irgendeine Ablenkung. Ich muss daran
denken, was Uma Thurman in Pulp Fiction zu John Travolta sagt: Man
weiß immer, dass man jemanden ganz Besonderen gefunden hat, wenn man einfach
mal für’n Augenblick die Schnauze halten und zusammen schweigen kann. Dabei
hatte ich bislang gedacht, dass das gemeinsame Schweigen unser geringstes
Problem sei. Das Reden, davor hatte ich immer Angst. Aber mittlerweile scheint
zwischen uns wirklich alles unerträglich geworden.
„Und? Was magst
du an Weihnachten am liebsten?“
Ich zucke
zusammen. Im Leben hätte ich nicht damit gerechnet, dass Max mich noch einmal
anspricht, und so braucht es einige Schocksekunden sowie etwas zusätzliche
Bedenkzeit, ehe ich antworten kann.
„Den Winter“,
sage ich schließlich, wobei ich es immer noch nicht wage, ihm wieder in die
Augen zu sehen, sondern lieber auf die verwitterte Holzmaserung starre. „Und
du?“
Auch Max denkt
kurz nach. „Ja, der Winter ist in der Tat nicht schlecht. Ich glaube, es ist
vor allem die Grundstimmung, die ich so an ihm mag.“ Er zupft mir eine verirrte
Schneeflocke aus den Locken, hält sie vor sein Gesicht und sieht ihr beim
Schmelzen zu, ehe er fortfährt. „Diese Vorfreude auf einen Neubeginn. Alles
scheint wie elektrisiert und kribbelig. Es werden Vorsätze gefasst und man
achtet mehr aufeinander als sonst. Man findet Zeit zum Nachdenken… Ja, ich
glaube, das mag ich am meisten.“
Während er so
spricht, blickt er geradeaus in irgendein Nichts. Und obwohl ich weiß, dass es
zwecklos ist, versuche ich, seinem Blick zu folgen. Ich spüre noch immer die
Flüchtigkeit seiner Berührung als leises Ziepen auf meiner Kopfhaut und bin
doch gar nicht sicher, ob ich sie mir nicht nur eingebildet habe… Aber bevor
wir uns in irgendwelchen fremden Dimensionen verlieren können, kommen auch
schon die beiden anderen zurück, und die letzte Runde wird eingeläutet.
Vierunddreißig
Als ich die Wohnung aufschließe,
stürzt Tristan wie ein Besessener an mir vorbei ins Bad. Typisch Mann, keinerlei
Disziplin! Kopfschüttelnd wische ich die matschigen Tapsen auf, die seine
feuchten Schuhe auf meinem Laminat hinterlassen haben, und wappne mich
insgeheim für den Fragenkatalog, der gleich auf mich hereinprasseln wird. Denn
eins ist klar: Sobald Tristan seinem dringenden Bedürfnis nachgegangen ist, hat
er nicht nur die Blase, sondern auch den Kopf wieder frei für die wesentlichen
Dinge im Leben. Heute: Das Privatleben seiner großen Schwester.
„Das war er
also, der begnadete Stecher?“ Sichtlich erleichtert lässt Tristan sich aufs
Sofa plumpsen und guckt mich erwartungsvoll an.
Sprachlos vor
soviel Dreistigkeit starre ich zurück, fange mich dann aber wieder. „Zuerst
einmal: Füße vom Tisch – du bist hier nicht zu Hause! Und zweitens: Was fällt
dir ein!? … Und drittens: Ja, das war er.“ Damit ist die Diskussion für
mich beendet, und um dies zu unterstreichen, gehe ich aus dem Zimmer und
ebenfalls Richtung Bad.
„Also, ich fand
ihn wirklich sehr nett!“, ruft Tristan mir hinterher, als ich die Tür schließe.
Ich grummle leise. Wieso sind Toilettentüren bloß immer so dünn? Das ist so was
von indiskret. (Dabei stören mich weniger die Geräusche, die herauskommen, als
vielmehr die, die hereindringen.) Merken: Unbedingt in eine gescheite
Isolierung investieren!
„Und ich glaub’
ehrlich gesagt nicht, dass die beiden ein Paar sind.“ Tristan kennt sich
ebenfalls mit Spanholztüren aus und redet einfach weiter.
„Wenn ich jetzt
in Ruhe pinkeln dürfte…!“, brülle ich zurück.
„Ich denke, ihr
Frauen seid alle multitaskingfähig!?“, kontert Tristan ungerührt und fügt noch
etwas hinzu, dass ich dank der Klospülung nicht höre. Wie praktisch! Da ich
aber weder Lust habe, mich den restlichen Abend auf dem Klo zu verstecken noch
unentwegt Wasser zu verschwenden, wasche ich mir schließlich die Hände und gehe
schweren Herzens zurück ins Wohnzimmer.
„Ich glaube
nicht, dass die beiden ein Paar sind.“ Tristan blickt mich mit verschränkten
Armen an und hat nach wie vor die Füße auf dem Tisch. Es ist wie bei einer
Vorabendserie, wenn der Sender nach der Werbeunterbrechung die letzte Szene
wiederholt, damit auch der
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