Liebe am Don
Melanie Polowna melden, die ihn sofort zu sich bringen ließ, um keine weiteren Streiche des Alten heraufzubeschwören.
»Malascha«, klagte der alte Volkow und verdrehte die Augen. »Etwas Schreckliches ist passiert … unsere Mieter sind weg. Bei den Tränen der Madonna, sag mir … arbeitet Njuscha noch hier?«
»Natürlich.« Melanie Polowna blickte den Alten kritisch an. »Wollen Sie sich untersuchen lassen, Väterchen?«
»Um Himmels willen, nein!« Der Alte sprang auf wie ein Gummiball. Er dachte an die Zeit auf Melanies Station und an den drohenden Bergsturz, wenn sie sich über ihn gebeugt hatte. Ihre Brüste schienen noch dicker geworden zu sein. Die Industrie muß Wunder vollbringen, dachte Iwan Feodorowitsch, daß sie so etwas mit einem Halter bändigen kann. Dazu gehört schon eine statische Berechnung. »Kann man sie aus dem Leichenkeller rufen lassen?«
»Ich kann Sie hinunterbringen, Väterchen«, schlug Melanie vor. »Nur passen Sie auf, daß man Sie nicht versehentlich in einen Sarg legt.«
»Der Teufel hole dich, Malascha!« knurrte der Alte. »Ich muß Njuscha sprechen. Ein paar Wörtchen nur.«
»Sie arbeitet ab heute auf Station VII. Chirurgie Frauen. Aber da kommst du nicht 'rein. Sie wollen keinen Bockgestank im Zimmer.«
Der alte Volkow ließ sich nicht beirren. Er verließ Melanie Polowna mit echten Kosakenflüchen und griff sich auf dem Flur einen jungen Arzt. »Genosse«, sagte er. »Haben Sie einen Vater?«
»Ja. Was soll's?« Der Arzt blickte Volkow irritiert an.
»Auch ich bin ein Vater. Ich habe ein Herz wie alle Menschen. Aber keiner hilft mir. Bringen Sie mich zur Station VII, Chirurgie Frauen. Dort arbeitet mein Täubchen Njuscha. Ich muß sie sprechen. Denken Sie an Ihren Vater, Genosse Mediziner –«
So gelangte Großvater Volkow in die dritte Etage des Riesenhauses und fühlte sich wie ein Eroberer. Tatsächlich, er war der einzige Mann auf der Station, denn die Besuchszeit war erst am Nachmittag. Stolz setzte er sich auf dem Flur in einen Korbsessel und wartete. Schwestern und andere Mädchen huschten an ihm vorüber, drei Ärztinnen musterten ihn scharf, und er hielt tapfer ihrem Blick stand, eine vierte Ärztin sprach ihn an und fragte: »Sind Sie der Vater des soeben geborenen Kindes?«, was den Alten um ein Drittel wachsen ließ, während er antwortete: »Trauen Sie mir das noch zu, Genossin?« und schließlich sah er Njuscha den langen, blitzsauberen Gang entlangkommen. Sie trug einen weißen Kittel und sah aus, als sei sie selbst eine Ärztin.
Der alte Volkow putzte sich die Nase. Tränen schossen ihm in die Augen. Sie lächelt, dachte er. Sie ist uns nicht böse. Sie sind nicht vor uns Volkows geflüchtet, sie bleiben bei uns, sie geben uns weiterhin vier Rubelchen … und ich kann weiterhin jeden Morgen ihre Brüste sehen, blank, wie gewachst, wenn das Wasser von ihnen abperlt. Glückliches Wasser …
Zum Mittagessen war der Alte wieder zu Hause. Arkadij, der sonst nie kam, sondern am Wolga-Ufer sein Essen auf einem Öfchen wärmte, hatte es nicht ausgehalten. »Was ist?« rief er sofort, als der Alte in die Wohnung stolperte. »Was hast du erreicht?«
»Wenn ihr euren Großvater nicht hättet!« sagte der Alte stolz, roch an der Kascha und sah die Volkowa böse an. »Bis zum Professor bin ich vorgedrungen. Ich lag schon auf einer Bahre, und sie wollten mich zur Operation rollen. Alles habe ich ertragen, nur um Njuscha zu sprechen.«
»Und du hast sie gesprochen, Väterchen?«
»Natürlich! Sie waren vergangene Nacht eingeladen bei Bekannten. Ab heute schlafen sie wieder bei uns.« Er hieb auf den Tisch und rührte mit dem Finger mißmutig in seinem Essen. »Heute abend gibt es Bratfisch! Verstanden? Und Salat mit saurer Sahne! Soll ich jeden Tag herumlaufen und unsere Mieter zurückholen?«
Die Volkows atmeten auf. Auch die Kinder lachten wieder. Man konnte weitersparen für ein Auto. Da die Lieferfrist drei Jahre betrug, war Arkadij zu dem Entschluß gekommen, den Wagen nächsten Monat zu bestellen. Er hatte hin und her gerechnet … in drei Jahren hatte man die Rubel zusammen, vorausgesetzt, daß Großvater nicht starb, denn ein Sarg würde ein großes Loch in die Rechnung reißen.
Die Familie beschloß, den Alten nicht aufzuregen und sorgsam zu pflegen. In Rußland ist ein Großväterchen so etwas wie ein Familienheiliger.
*
Zunächst fiel es nicht auf, daß Major Tumow an diesem Morgen nicht zum Dienst erschien. Ein Offizier des KGB hat keine
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