Liebe auf Dauer
diese Krankheit gar nicht gekommen wären? Verbündung um das Problem heißt hier, Wege zur gemeinsamen Krankheitsbewältigung zu finden.
Nicht unähnlich ist es auch, wenn sich bei einem der Partner herausstellt, dass er von Suchtmitteln abhängig ist, also Drogen- oder Alkoholkonsum nicht mehr unter Kontrolle hat. Natürlich muss er selber wesentliche Teile der Lösungsverantwortung übernehmen. Abstinent kann nur er werden, das kann ihm kein Partner abnehmen. Oft besteht hier sogar die Gefahr, dass sein Partner zum »Co- Abhängigen« wird, indem er durch Überverantwortlichkeit, Kontrollverhalten oder abwertende Kritik dasSuchtverhalten des anderen provoziert und verstärkt. Aber auch hier gilt: Der Partner kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass der andere sein Suchtverhalten unter Kontrolle bringt. Auf welchem Weg das geschehen kann, muss allerdings im Einzelnen herausgefunden und – zum Beispiel in einer Paartherapie – erarbeitet werden. Sich nur herauszuhalten, das kann vielleicht ein vorü- bergehend nötiger Selbstschutz sein, auf die Dauer würde das auf eine – jedenfalls vorläufige – Aufkündigung der Beziehung hinauslaufen. Diese kann unter Umständen nötig sein, weil der Partner keine andere Möglichkeit mehr sieht, weil er sich vom anderen ausgenutzt und manipuliert fühlt oder durch das Problem des anderen völlig überfordert ist. So lange es aber irgendwie möglich ist, gilt auch hier: das Problem des einen zum gemeinsamen Problem machen.
In allen erwähnten Fällen, vor allem aber in den zuletzt genannten, bekommt die Verbindlichkeit der Paarbeziehung eine sehr konkrete Bedeutung: Auch wenn ich das Problem nicht – wie in den erstgenannten Fällen – mitkreiert habe, bin ich davon auf jeden Fall mitbetroffen. Darum ist es auch unsere gemeinsame Aufgabe, alle jene Herausforderungen anzunehmen, die damit verbunden sind: die Herausforderung zum gemeinsamen Verstehen, zum gemeinsamen Suchprozess und zu gemeinsamen Lösungsversuchen.
Was Paare im Gegensatz dazu häufig tun, ist, dass sich entweder einer vom Problem des anderen distanziert oder dass beide um das Problem konkurrieren. Distanzierung heißt: »Es ist dein Problem, es hat mit mir nichts zu tun!« In Konkurrenz um das Problem begeben sich die Partner dann, wenn die Interaktion darüber nach dem Muster abläuft: »Es ist dein Problem!« – »Nein, im Gegenteil, es ist deines!« Was anstelle dieser äußerst destruktiven Muster treten muss, ist die Verbündung und die Kooperation der Partnerhinsichtlich des Problems (Revenstorf 1999, S. 109). Was heißt das ganz konkret?
Kooperation statt Distanzierung und Konkurrenz
Erster Schritt: Ich gehe auf den Partner, der das Problem äußert, ein, gehe gleichsam »mit ihm mit«.
An unserem ersten Beispiel von Iris, Martin und ihrem jüngsten Sohn kann das Folgendes heißen: Wenn sie darüber klagt, wie schwierig es gerade mit dem Sohn ist, muss Martin vermeiden, gleich Ratschläge zu geben. Zunächst mal ist angesagt: zuhören, nachfragen, eingehen auf Iris, indem er Verständnis für und Mitgefühl mit ihren Sorgen und Ängsten zeigt. Vorschnelle Ratschläge sind immer eine Strategie der Distanzierung. Wenn Martin zuhört, nachfragt, mitschwingt, setzt er sich Iris gegenüber nicht aufs hohe Ross, er tritt vielmehr an ihre Seite. Von diesem Moment an wird das Problem bereits ein Stück ihr gemeinsames. Martin steht nicht mehr außerhalb (wie als »Ratgeber«), er sitzt sozusagen mit im Boot, in dem Iris nach dem richtigen Kurs sucht. Der erste wichtige Schritt ist also: Der (scheinbar) nicht betroffene Partner lässt sich vom Problem des anderen mit betreffen, indem er ausführlich Problem und Problembewusstsein des anderen erforscht und teilt.
Zweiter Schritt: Jeder sucht nach seinem Teil am Problem und nimmt diesen Teil zu sich .
Wieder an unserem Beispiel: Martin und Iris überlegen miteinander, woran es liegen mag, dass der Kleine gerade so schwierig ist. Was nun sind die Ursachen dieser Schwierigkeiten? Dabei werden wahrscheinlich verschiedene Zusammenhänge deutlich, zum Beispiel die Konkurrenz des Kleinen mit den Geschwistern, die Ungeduld von Iris, die mit den drei Kindern an den Rand ihrerMöglichkeiten geraten ist, aber auch: Martins Mangel an Kontakt zum Jüngsten, der besonders auf ihn bezogen ist.
Wenn sich so herauskristallisiert hat, dass auch der andere Partner am Problem beteiligt ist, braucht es oft den Schritt, diese Beteiligung ausdrücklich anzuerkennen
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