Liebe auf den ersten Klick
Großvater geliebt.«
»Aber er war doch ziemlich oft unterwegs, oder? Hat es das einfacher für dich gemacht? Habt ihr gewartet, bis deine Alice tot war, oder war das nicht so wichtig?«
Ich sehe eine bläuliche Vene an seiner Schläfe pulsieren. »Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, Viv«, sagt er kaum hörbar.
»Ich finde, der Zeitpunkt ist absolut perfekt. Du sitzt hier und tust so, als wäre sie deine große Liebe.«
Das Beatmungsgerät zischt und faucht. Von irgendwoher ertönt ein schleimiges Husten.
»Das war sie auch … und ist sie noch. Bevor all das passiert ist, haben wir darüber gesprochen, ob wir heiraten sollen.«
»Um Gottes willen! Auch das noch! Wofür denn?« Ich muss mir beinahe ein Lachen verkneifen.
Ein sehnsuchtsvoller Blick liegt in seinen alten, gelblich verfärbten Augen. »Ach Vivienne, jemand, der so eine Frage stellt, hat noch nie wirklich geliebt«, sagt er sanft. »Du weißt nicht, was es bedeutet.« Kopfschüt telnd steht er auf. »Du weißt es nicht.«
Endlich habe ich erreicht, was ich die ganze Zeit wollte: Ich bin allein mit Nana, trotzdem ist es dem doofen alten Mann gelungen, dass ich mich mies fühle. Heiraten! Sie hätte es mir sagen müssen. Ich stehe auf und streiche ihr das Haar aus dem Gesicht in der Hoffnung, dieses dumpfe Gefühl zu verjagen, das mich beschlichen hat. Ich stehe auf und fange an, Nanas Haar sanft zu bürsten. Es fühlt sich fettig an. Am liebsten würde ich es ihr waschen. Beim Anblick ihrer ungeschminkten Wimpern nehme ich mir vor, ein bisschen Make-up zu besorgen, um für den Moment vorbereitet zu sein, wenn sie wieder zu sich kommt. Ein feuchter Fleck landet auf ihrer Bettdecke. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich weine.
Von wegen, ich habe keine Ahnung, was Liebe wirklich bedeutet. Ich weiß, wie es sich anfühlt, jemanden zu lieben und Angst davor zu haben, ihn zu verlieren.
Wenig später schlendere ich durch die Korridore und folge meiner Nase in die Krankenhaus-Cafeteria. Ich sollte dringend etwas essen. Kondensperlen glänzen auf den traurig aussehenden Käsesandwiches. Rings um mich herum schlurfen Leute mit Tabletts in der Hand zu den Tischen und löffeln ihre Suppe. Eigentlich müsste eine Krankenhaus-Cafeteria doch etwas mehr Lebensfreude verströmen. Sollte sie nicht in fröhlichem Orange gestrichen sein und frische, gesunde Kost anbieten? Sollte es hier nicht zu jedem Alfalfa-Wrap einen Gratis-Weizengrassaft geben?
Ich hole mir einen Kaffee und ein vertrocknetes Sandwich und setze mich allein an einen Tisch. Wieder wähle ich Max’ Nummer und lausche seinem Anrufbeantworter. Als er das dritte Mal anspringt, spreche ich eine Nachricht darauf.
»Hey, Max, ich bin’s. Vermutlich willst du nicht mit mir reden – ziemlich clever von mir, was? Trotzdem wünschte ich, du würdest mich alles erklären lassen. Außerdem ist einiges passiert und … na ja, ich könnte einen Freund brauchen, und rein zufällig bist du der beste, den ich habe. Ich gehe davon aus, dass du dieses Amt immer noch bekleiden willst … haha … Bitte, Max, ruf mich an.«
Als ich das Handy weglege, sticht mir etwas ins Auge, so als würde ein Schwan im Ententeich herumschwimmen: eine Frau in einem toll geschnittenen orangefarbenen Seidenkleid, gebräunten Armen und Beinen und schimmerndem Haar. Sie wartet an der Kasse und wirft sich das Haar über die Schulter. Sam, Robs Exfreundin.
Ach, du Scheiße. Ich blicke krampfhaft auf die Tischplatte in der Hoffnung, dass sie mich nicht bemerkt, sehe sie jedoch aus dem Augenwinkel in ihren schicken Sandaletten durch die Cafeteria tänzeln und eine rosige Wärme auf die Wangen der halb toten Patienten zaubern, die ihr wie gebannt hinterhersehen. Es würde mich nicht wundern, wenn sie einen Schwarm bunter Vögelchen und Bambis im Schlepptau hätte. Ich höre das Klacken ihrer Absätze auf dem Fußboden, während ich den Belag meines Sandwichs in Augenschein nehme. Klack, klack, klack. Geh einfach weiter, geh weiter! Sie bleibt stehen. Ich warte.
»Vivienne, richtig?«
Ich zaubere einen Ausdruck erfreuter Überraschung auf mein Gesicht, bevor ich aufsehe. »Hallo?« Als hätte ich keine Ahnung, wer vor mir steht.
»Sam. Wir haben eine Gemeinsamkeit, unseren Ex. Rob Waters.«
»Ach ja! Nur dass ich nicht … Also, wir sind wieder zusammen.« Gott, ist das schön! Befriedigt registriere ich die kleine Falte, die sich zwischen ihre Brauen gräbt. »Ja, er hat endlich gemerkt, dass er ohne mich nicht leben kann
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