Liebe auf den ersten Klick
seit der Trennung war ich meistens mit meinen eigenen Problemen beschäftigt, habe meine Energie in meine neue Website gesteckt und meinen Liebeskummer zu einer Art Projekt erhoben: Ich habe recherchiert, darüber geschrieben und mich darin gesuhlt. Ich habe versucht, den Schmerz zu etwas Alltäglichem zu machen, ja, ihm sogar eine lustige Seite abzugewinnen. Dabei liegt es doch in der Natur des Liebeskummers, dass jeder ihn auf eine ganz eigene Weise erlebt. Ein blutendes Herz ist etwas ganz Persönliches … etwas, was jeder anders empfindet.
Und nun könnte ich Nana vielleicht endgültig verlieren. Erst jetzt weiß ich, was Verlust wirklich bedeutet. Und die Kälte, die mit dieser Erkenntnis einhergeht, frisst sich in mein Herz und dringt bis ins Mark. Mit einem Mal ist nichts mehr, wie es war, und ich habe den dumpfen Verdacht, dass alles nur meine Schuld ist. Ich weiß nicht genau, wie ich es angestellt habe, aber offenbar mache ich alles kaputt, womit ich auch nur in Berührung komme. Ich wünschte, Max wäre hier. Ich wünschte, ich hätte einen guten Freund oder eine anständige Karriere oder sonst etwas von Bedeutung. Allem Anschein nach ist »Heiraten« das Einzige, was mich antreibt.
Aber genau das werde ich doch tun. Deshalb sollte ich mich nicht selbst bemitleiden. Ich werde heiraten! Das habe ich mir die ganze Zeit gewünscht, trotzdem hätte ich nicht gedacht, dass es sich so anfühlen würde. Es ist, als hätte ich mein ganzes Leben diesem einen Wunsch geopfert, und nun, da sich mein sehnlichster Wunsch erfüllen wird, empfinde ich eine seltsame Leere, so als hätte man sein ganzes Geld für etwas sündhaft Teures gespart, nur um festzustellen, dass es im Ausverkauf ist und man es praktisch für einen Apfel und ein Ei bekommen kann. Meine Niedergeschlagenheit wächst mit jeder Minute.
Aber ich darf mich nicht so hängen lassen – ich sollte zuversichtlicher sein. Ich werde heiraten. Und ich liebe Rob. Nana wird bald wieder gesund, ganz bestimmt. Max wird mir verzeihen, genauso wie Lucy. Ich werde mich bei der Arbeit reinknien und vielleicht sogar befördert werden oder so, und alles wird gut. Bestimmt. Es muss.
Aus den Häusern neben der U-Bahn-Station zieht der Geruch von Abendessen herüber. Ich sehe zwei kleine Kinder aus ihrem Planschbecken springen und über den vertrockneten Rasen rennen. Halme kleben an ihren nassen Beinchen. Ich bleibe kurz stehen und sehe ihnen zu. Ihre Mutter lächelt mich an und hebt kopfschüttelnd ihre Spielsachen vom Boden auf. Vielleicht glaubt sie, ich sei ebenfalls Mutter und wüsste genau, wie es ist, den Kleinen ständig hinterherzuräumen. Plötzlich schießt mir die ernüchternde Wahrheit durch den Kopf: Ich bin Meilen davon entfernt, eigene Kinder zu haben, und eine Hochzeit mit Rob würde mich noch weiter von diesem Ziel wegführen – weil meine ganze Zeit dafür draufgehen würde, unsere Beziehung zu kitten und mich um seine Befindlichkeiten zu kümmern. O Gott … was, wenn ich mir in Wahrheit nie etwas anderes gewünscht habe, als Mutter zu sein?
Zurück in London, sinkt mein Mut noch weiter. Endlich beginnt es auch zu regnen. Dicke Tropfen klatschen auf den Asphalt, und innerhalb von Sekunden steht alles unter Wasser. An der Victoria Station steige ich in einen Bus, nur um ein bisschen durch die Stadt zu fahren und in Ruhe nachzudenken. Okay. Zeit, meinen Ängsten ins Auge zu blicken. Was, wenn sie tatsächlich stirbt? Meine wunderbare, lustige, liebevolle Nana, deren Anwesenheit ich immer nur als selbstverständlich betrachtet habe, die ich zahllose Male angeblafft oder mich für sie geschämt habe. Wäre sie von heute auf morgen nicht mehr da, könnte ich ihr niemals sagen, wie sehr ich sie liebe, könnte nie wieder ihr Lächeln sehen. Aber sie darf nicht sterben! Nicht meine Nana! Ich spüre ein Schluchzen in meiner Kehle aufsteigen und wende mich zum Fenster um, damit die Leute mich nicht sehen. Mit dem Finger reibe ich ein kleines Loch in die beschlagene Scheibe und sehe hinaus, während ich meine Tränen abwische. Der Bus rumpelt durch Victoria mit seinen lauschigen Plätzen bis zum Hyde Park. Wenn sie doch nur aufwachen würde, wäre ich ihr ab sofort eine bessere Enkelin, würde sie häufiger besuchen und wäre netter zu ihr.
Hinter der U-Bahn-Station Green Park sitzt ein Obdachloser auf einem klatschnassen Sack. Pendler hasten an ihm vorbei, ohne auf seinen vorgestreckten Hut zu achten. O Gott, London ist so gnadenlos. Hier gibt es keinen
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