Liebe auf den letzten Blick
hörbar ein, um gleich darauf wieder zu schniefen. »Aber für Otto war diese Serie von Misserfolgen ein Fiasko. Er hat rumgeschrien, ist in der Suite auf und ab gelaufen … und plötzlich verzerrte sich sein Gesicht ganz furchtbar …«, sie putzt sich die Nase, »dann hat er sich an die Brust gefasst und ist auf dem Bett zusammengesackt.«
Die Vorstellung lässt mich erneut aufstöhnen. »Meine arme Irma, es tut mir unendlich leid.«
»Es waren die schlimmsten Momente meines Lebens, Mathilde..«
»Das muss schrecklich für dich gewesen sein«, versichere ich ihr.
»Und es wurde immer schlimmer«, antwortet Irma leise. »Der Arzt, den ich natürlich sofort habe rufen lassen, kam zwar nach wenigen Minuten, konnte aber nur noch Ottos Tod feststellen. Und dann erschien auch noch die Polizei …«
»Polizei?«, wiederhole ich entsetzt. »Hat der Arzt denn angenommen, du hättest etwas mit Ottos Tod zu tun?«
»Nein, aber das ist so üblich. Otto wird jetzt obduziert, um die genaue Todesursache festzustellen. Ach, Mathilde, auch wenn ich ihm kein Messer ins Herz gestoßen habe, ist es meine Schuld.«
»Wie kommst du denn auf diese absurde Idee?«, frage ich verwirrt.
»Ich bin schuld!«, beharrt sie aufgebracht. »Harald, mein erster Mann, ist doch auch an einem Herzinfarkt gestorben.«
»Ich verstehe nicht?«
»Er hatte einen Herzinfarkt«, wiederholt sie. »Genau wie Otto. Ich bringe meine Ehemänner ins Grab.«
»Irma, du bist einfach nur durcheinander, was ich sehr gut verstehen kann. Aber glaube mir, niemand verursacht den Herzinfarkt eines anderen. Otto war doch nicht mehr der Jüngste, und in seinem Alter sind Herzinfarkte alles andere als eine Seltenheit«, versuche ich, sie zu beruhigen.
»Ja, schon«, entgegnet sie wenig überzeugt. »Aber ich hätte Ottos Antrag nicht annehmen dürfen. Ich wollte die Sicherheit an seiner Seite und das Geld, und er musste es ausbaden.«
Einen Moment bin ich sprachlos. »Was soll denn dein Wunsch nach Absicherung mit Ottos Infarkt zu tun haben?«, frage ich konsterniert.
»Nicht direkt, natürlich«, antwortet sie. »Aber ich bringe Männern einfach kein Glück. Schon in England hatte ich so ein komisches Gefühl, als ob die gesamte Reise unter einem schlechten Stern stünde.«
Mein Magen verkrampft sich, weil ich ihren Kummer so gut verstehen kann. Sie war so glücklich mit Otto und hat sich auf ein schönes Leben mit ihm gefreut. Und nun hat es nur ein paar Wochen gedauert.
»Irma, ich verstehe deine Verzweiflung sehr gut, wirklich«, sage ich. »Aber bitte, hör auf, dich mit Vorwürfen zu zerfleischen. Das bringt dir Otto auch nicht wieder zurück.«
Sie schnieft. »Ja, du hast recht … Aber …«
»Kein Aber«, sage ich. »Stell dir vor, Otto wäre ohne dich nach Cannes gefahren und ganz allein in seinem Hotelzimmer zusammengebrochen. Vielleicht hätte sogar das Bitte-nicht-stören-Schild draußen gehangen. Das Personal hätte ein romantisches Tête-à-tête vermutet und erst nach Tagen Verdacht geschöpft. Einsam zu sterben ist schrecklich. Und genau davor hatte Otto doch auch große Angst, oder? Ich weiß, das ist ein schwacher Trost für dich, Irma, und nichts kannOtto wieder zum Leben erwecken. Aber du warst in seinen letzten Minuten bei ihm, und dafür war er dir sicher dankbar.«
»Danke, Mathilde«, schnieft sie. »Jetzt geht es mir schon etwas besser.«
Ich atme erleichtert auf. »Wie kann ich dir sonst noch helfen? Hast du genügend Geld bei dir?«, frage ich, als Luis ins Zimmer stürmt.
Mit großen Augen fixiert er mich. »Mathinde, wer ist daaa dra-han?«
»Sekunde, Irma, das ist Luis, der kleine Junge aus dem Dachgeschoss. Wir wollen gleich auf den Spielplatz«, erkläre ich und wende mich dann an ihn. »Ich komme gleich, aber erst muss ich noch mit Irma reden.«
»Kenne ich Irma?«, fragt er neugierig.
»Kannst du dich an ihre vielen Enten erinnern?«
»Jaaa!« Seine Augen leuchten.
»Schön, dann lauf in die Küche zu Amelie und den anderen, ich komme gleich nach.«
Er nickt, bleibt aber stehen. »Wenn der Papa mit der doofen Tina telefoniert, schickt er mich auch immer raus.«
»Irma ist nicht doof, und sie hat dir die Tigerente geschenkt. Weißt du noch?« Er nickt. »Sie ist sehr, sehr traurig, und ich muss sie trösten. Es dauert nicht lange«, verspreche ich.
Mit krauser Stirn schaut er mich an und fragt dann mit wackliger Stimme. »Will Irma die Tigerente wiederhaben?«
»Nein, bestimmt nicht«, beruhige ich ihn und
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