Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)
Crambray tätschelte erleichtert ihre Hand und verschwand. Das Gespräch verstummte kurz, als er die Verbindungstür öffnete, dann hörte sie abermals leise angeregtes Gemurmel.
Clarissa setzte sich kopfschüttelnd im Bett auf und setzte vorsichtig die Füße auf den Boden. Sie hatte ihr verschwitztes Nachthemd ausgezogen und einen Morgenmantel übergestreift. Mist, sie hatten ihr das Buch weggenommen. Nach der ganzen Aufregung hätte sie sich gern in der Wanne entspannt und dabei ein bisschen geschmökert.
Nach kurzem Zögern tappte Clarissa zur Tür, fest entschlossen, sich kurz in die Bibliothek zu schleichen, um dort neuen Lesestoff zu organisieren. Wenn sie schnell war – und viel Glück hatte –, würde ihr unterwegs niemand begegnen.
In ihrem Kopf schwirrten tausend Gedanken, indes mochte sie jetzt nicht darüber nachgrübeln. Erst mal ein bisschen in der Wanne entspannen und lesen. Danach würde sie sich mit den Befürchtungen ihres Mannes auseinandersetzen – und mit dem, was sie von Lady Mowbray und Kibble erfahren hatte.
17
»Also das begreife ich nicht«, erregte sich Lord Crambray auf dem Weg in Adrians Arbeitszimmer. »Soll das heißen, Sie befürchten schon seit Längerem, dass irgendjemand versucht, meine Tochter umzubringen? Und Sie haben mich nicht informiert? Oder Clarissa?«
Seine Miene angespannt, umrundete Adrian den Schreibtisch und sank in seinen Sessel. Puh, das klang gar nicht gut. Sein Schwiegervater wirkte mächtig verschnupft.
»Seine Lordschaft wollte Sie und Ihre Tochter nicht unnötig beunruhigen, Lord Crambray«, sagte Hadley, als Adrian schwieg. »Er fand, dass Clarissa schon genug Aufregung mit den Vorbereitungen für die Hochzeit und die Reise nach Mowbray hatte. Außerdem hat er alles getan, damit sie immer beaufsichtigt wurde.«
»Offenbar nicht genug«, knurrte Lord Crambray grimmig, und fügte an Adrian gewandt hinzu: »Dass du Clarissa beschützen willst, ist verständlich, aber das ist noch lange kein Grund, mich nicht in diese Geschichte einzuweihen. Du hättest mich informieren müssen.«
»Ja, das hätte ich wohl tun sollen, und ich entschuldige mich dafür«, seufzte Adrian und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Er hatte es geschafft, alles völlig zu verpfuschen. Mal wieder. »Ich mache anscheinend alles falsch, was deine Tochter betrifft. Ich glaube, wenn es um Clarissas Sicherheit geht, brennen bei mir sämtliche Sicherungen durch.«
Angesichts dieses Eingeständnisses schien Lord Crambrays Zorn zu verrinnen wie Regenwasser in einem Gully. Der ältere Gentleman ließ sich in einen der Sessel sinken, die vor Adrians Schreibtisch standen.
»Du hast von einem Brand gesprochen, dass sie vor eine Kutsche gestoßen wurde und die Treppe hinuntergestürzt ist«, fasste Clarissas Vater die Zwischenfälle noch einmal zusammen. »Lydia hat davon in ihren Briefen nicht ein Wort erwähnt. Ich glaube das einfach nicht … was zum Henker ist hier wirklich los?«
Adrian richtete sich in seinem Sessel auf und stützte die Ellenbogen auf die Schreibtischplatte, dann berichtete er in allen Einzelheiten, was passiert war, seit er Clarissa kannte, einschließlich der früheren Vorfälle, um die er nur vom Hörensagen wusste.
Während er sprach, goss Hadley Brandy in drei Cognacschwenker. Er reichte den Herren ein Glas und setzte sich wieder in seinen Sessel, wo er schweigend Adrians Ausführungen lauschte.
»Grundgütiger«, entfuhr es Lord Crambray, nachdem Adrian geendet hatte. »Wer macht denn so etwas?«
»Ich hab keine Ahnung«, knirschte sein Schwiegersohn grimmig. »Clarissa denkt, es sind alles bloß Missgeschicke, aber …«
»Nein.« Crambray schüttelte entschieden den Kopf. »Nach dem Vorfall am Springbrunnen halte ich das für ausgeschlossen. Angesichts der Notiz, die gar nicht von dir stammte, und der Tatsache, dass Clarissa ohnmächtig in dem Wasserbecken lag – nein, das kann kein unglücklicher Zufall gewesen sein.«
Adrian nickte in schweigendem Einvernehmen.
»Wie gehen wir jetzt weiter vor, mein Sohn?«, wollte Crambray wissen.
Adrian warf Hadley einen Blick zu. Der war eingetroffen, unmittelbar nachdem Kibble ihn informiert hatte, dass Clarissa wieder bei Bewusstsein sei. Adrian hatte dem Privatermittler auf dem Weg nach oben in groben Zügen die Sachlage geschildert, aber noch nichts dazu gesagt, wie er sich das weitere Vorgehen vorstellte.
»Ich habe Hadley engagiert«, erklärte er Crambray. »Mister Hadley war in der Vergangenheit
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