Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)
und mein neues Chapeau ausführen und dachte mir, ich schau mal bei den reizendsten Damen von ganz London vorbei.«
Ihre Stiefmutter und Lady Havard giggelten dümmlich über das Kompliment. Clarissa ging davon aus, dass die beiden sich nicht trauten, nachzufragen, und fasste sich ein Herz. »Ähm, was bitte meinen Sie mit Paletot und Chapeau?«
»Na was wohl, Überzieher und Hut, ma petite Mademoiselle«, erklärte Reginald in seiner hohen, geschraubten Stimme. Er sprang auf und drehte sich vor ihr im Kreis, als wüsste er nicht, dass sie kurzsichtig war. »Na, wie gefällt er Ihnen? Guter Schnitt, was?«
Clarissa kniff angestrengt die Augen zusammen, indes gewahrte sie bloß einen bunt verwirbelten Nebelschleier.
Lydia winkte ab. »Oh, der Mantel sitzt ganz fabelhaft. Sie müssen mir unbedingt den Namen Ihres Schneiders verraten, dann schicke ich meinen Mann auch dorthin.«
»Und die Farben, einfach zauberhaft«, räumte Lady Havard ein.
Clarissa hüstelte, um nicht laut losprusten zu müssen. Unvorstellbar, dass ihr Vater in so einem geckenhaft bunten Teil herumlaufen könnte. Er würde Zustände bekommen. Lord Crambray war sehr konservativ.
Zufrieden seufzend sank Lord Greville zurück in seinen Sessel. »Ich versuche stets, mich nach der neuesten Mode zu kleiden. Ich hab schon überlegt, ob ich mir nicht die passenden Breeches und ein passendes Jabot dazu gönnen soll. Was meinen Sie?«
»Das klingt ganz reizend«, murmelte Lydia ziemlich unpassend, denn sie stand genauso auf der Leitung wie Lady Havard, die doch angeblich sooo viel Ahnung hatte.
»Verzeihen Sie, Mylord, würde es Ihnen etwas ausmachen, mich darüber aufzuklären, was Breeches und ein Jabot sind?«, erkundigte sich Clarissa.
»Hose und Kragen, meine Liebe«, erklärte er geduldig. Clarissas Miene sprach Bände. Sie sah ihn schon vor ihrem geistigen Auge: schreiend bunt wie ein Papagei oder ein bemaltes Osterei. Anscheinend bemerkte er ihren perplexen Gesichtsausdruck. Sie hörte die Belustigung in seiner Stimme, als er ihr versicherte: »Aber dann fand ich, dass das ein bisschen zu viel des Guten wäre. Deshalb hab ich mit meinem besten weißen Jabot planschiplanschi gemacht. Das geht auch. Ist sogar viel besser, denn ich werf meine Pimperlinge ungern zum Fenster raus.«
»Verzeihung«, meinte Clarissa gedehnt. »Was haben Sie mit Ihrem Kragen … öhm … Jabot gemacht?«
»Planschi… Ich hab’s gewaschen «, warf er in die schweigende Runde. »Ich hab mein Jabot gewaschen.«
»Ah ja, natürlich. Der Witz war gut.« Lydia kapierte gar nichts mehr.
»Und was für Pimperlinge werfen Sie ungern zum Fenster raus? Wie darf ich das verstehen?«, kam es abermals von Clarissa.
»Mit Pimperlingen meine ich natürlich meine Barschaft. Was sonst?«
»Aber das ist doch ganz logisch!«, bekräftigten die beiden älteren Damen unisono, als wollten sie Clarissa eine unverzeihliche Bildungslücke unterstellen. Dabei war sie sich sicher, dass die beiden genauso wenig mitkamen wie sie.
»Ah, mon dieu!«, rief Greville in gespieltem Entsetzen. »Jetzt halten Sie mich bestimmt für très knausrig. Aber das stimmt nicht! Wissen Sie, mein Papa hält mich an der kurzen Leine. Er ist ein alter Mann und hat für Mode nichts übrig. Dabei ist modische Kleidung doch absolut unverzichtbar, finden Sie nicht auch?«
Als er eine Kunstpause einlegte, nickten Lydia und Lady Havard wie auf Knopfdruck. Was sollten sie auch sonst machen? Zumal sie sich auf gar keinen Fall als alte Matronen abstempeln lassen mochten.
»Oh ja, modische Kleidung ist absolut unverzichtbar«, plapperten sie ihm wie zwei Sprechpuppen nach.
Grevilles Kehle entrang sich ein gestelztes Seufzen. »Ach ja, alles wird ständig teurer. Letzte Woche hab ich mir ein neues Paar Phaetonetten anfertigen lassen. Ich bin fast in Ohnmacht gefallen, als ich die Rechnung bekam. Haben Sie eine Ahnung, wie teuer eine cravache mittlerweile ist?«
»Eine cravache?«, japste Lady Havard. Ihr fielen fast die Augen aus dem Kopf. Sie fasste sich indes hastig wieder. »Ähm … ja, sehr teuer, Sir.«
Clarissa räusperte sich. »Tut mir leid, aber was sind Phaetonetten, und was ist eine cravache?«
»Mais oui, Phaetonetten, so nenne ich meine Stiefel für den offenen Landauer, und die cravache ist eine Reitpeitsche«, erklärte er geschmeidig, bevor er sich weiter beklagte: »C’est triste, aber für wahrhaft modische Kleidung reicht das Geld hinten und vorne nicht.« Er schüttelte betrübt den Kopf.
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