Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)
Geruch von Sattelfett und Pfeifentabak.
»Was machst du denn hier?«, entfuhr es ihr verblüfft.
Er straffte sich. »Denkst du etwa, ich lass mir die Hochzeit meines kleinen Mädchens entgehen?«, scherzte er. »Als ich Lydias Brief bekam, bin ich sofort nach London gefahren.«
Clarissas Blick schoss in Lydias Richtung. Ihre Stiefmutter hatte mit keinem Wort erwähnt, dass sie Vater das mit der Hochzeit geschrieben hatte.
»Ich hab dir ein paar Kleider mitgebracht«, fuhr John Crambray fort. »Lydia schrieb, dass deine bei dem Feuer verbrannt sind.«
Clarissa nickte. »Ja, Daddy. Danke, ganz lieb von dir.«
»Wir müssen dir auf jeden Fall neue machen lassen, für die Bälle und Feste; die hier sind nicht mehr schön.« Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. »Was ist mit deiner Brille, Clary?«
»Clarissa hat sie zerbrochen«, log Lydia glatt. »Ich hab dir noch einen zweiten Brief geschickt, dass du ihre Ersatzbrille mitbringen sollst, aber der hat dich wohl nicht mehr erreicht.«
Clarissa schluckte. Auch das hatte Lydia nicht erzählt. Nach dem abfälligen Ton in ihrer Stimme zu urteilen, fand sie es wohl schlimm und nicht sinnvoll, dass das Mädchen seine Brille wiederbekam. Clarissa konnte partout nicht begreifen, warum das so war.
»Tja, solche Missgeschicke passieren einem nun mal«, sagte ihr Vater lapidar und lenkte Clarissas Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Ich bin sehr froh für dich, Tochter. Ich hab diesen Mowbray immer geschätzt. Er ist ein netter Mann.«
Clarissa registrierte, dass Lydia sich versteifte. »Du kennst Adrian?«, fragte sie verblüfft.
»Ja, selbstverständlich. Sein Vater und ich waren gut befreundet, wir haben uns nach dem Tod deiner Mutter häufig geschrieben. Adrians Vater war ein fabelhafter Geschäftsmann. Und sehr erfolgreich, wie ich seinen Briefen entnehmen konnte. Als er sich aus dem Geschäftsleben zurückzog und Adrian das Ganze übernahm, hab ich häufiger mit seinem Junior korrespondiert.«
»Das wusste ich nicht«, murmelte Clarissa.
»Wozu auch? Ich glaube nicht, dass ich dich in unseren Briefen erwähnt habe. Und im Gespräch auch nicht«, bemerkte John Crambray beiläufig.
»Oh.« Clarissa warf einen verstohlenen Blick auf Lydia, als ihr Vater sich zu ihnen an den Tisch setzte. Wenn sie sich nicht täuschte, schaute ihre Stiefmutter höchst missmutig drein. Als ein Diener herbeieilte und ihrem Vater eine Tasse Tee servierte, nickte seine Lordschaft dankbar.
In diesem Moment fiel es Clarissa wie Schuppen von den Augen. Ihr Vater begrüßte sie mit einer herzlichen Umarmung, Lydia würdigte er indes keines Blickes. Nicht mal geküsst hatte er sie zur Begrüßung. Das tat er nie, sann das Mädchen. Die beiden waren ihr ein Rätsel. Was für eine Beziehung war das denn?
Vielleicht lag darin der eigentliche Grund für Lydias Verbitterung und Launenhaftigkeit. Dann hat es gar nicht unbedingt mit mir zu tun, schlussfolgerte sie verwundert.
***
»Was hältst du davon, wenn du ihr mal die Ahnengalerie zeigst?«, schlug John Crambray vor.
Adrian zuckte kaum merklich zusammen und grinste schief. Und fühlte sich prompt ertappt, weil er Clarissa angestarrt hatte, während er sich mit ihrem Vater unterhielt.
»Na, mach schon. Ihr zwei erinnert mich an ihre Mutter und mich, als wir in eurem Alter waren. Ihr lasst einander nicht aus den Augen und hängt aneinander wie die Kletten.« Ein wehmütiges Lächeln milderte seine Züge. »Ich vermisse sie noch immer.«
Adrian hob eine Braue. »Was ist mit …?«
»Lydia?« Lord Crambray seufzte schwer. »Das mit Lydia war ein Fehler. Ich dachte damals, Clarissa braucht eine Mutter, die sich liebevoll um sie kümmert, nicht zuletzt auch nach diesem schlimmen Skandal. Außerdem wollte ich nicht, dass sie den Haushalt führen muss – sie war ja noch so jung. Es war ganz ohne Zweifel eine Vernunftheirat. Mir war damals schon klar, dass ich niemals eine andere Frau als Margaret lieben würde.« Er schüttelte deprimiert den Kopf. »Ich ging davon aus, Lydia und ich wären uns da einig. Zumal sie beteuerte, sie würde mich verstehen. Letztlich verstand sie gar nichts. Sie glaubte, meine Trauer würde vorbeigehen, und dass ich mich dann in sie verlieben würde. Als sie merkte, dass das niemals passieren wird …« Er zuckte mit den Schultern, sein Blick schweifte zu seiner Tochter. »Clarissa ist ihrer Mutter aus dem Gesicht geschnitten. Sie ist Maggie so ähnlich … und für Lydia damit eine ernsthafte Konkurrentin um
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