Liebe auf den zweiten Blick (German Edition)
Gestalt, die dort stand.
»Nein. Mein Cousin ist sonst nie so früh auf. Der notorische Nachtschwärmer ist auf dem Nachhauseweg in sein Bett und war so nett, kurz vorbeizuschauen, um uns zu warnen. Wenn wir hierbleiben, werden wir uns vor Besuchern kaum retten können.«
»Deshalb ist er hier?«
»Ja, deshalb war er hier.« Über seine Schulter rief er: »Danke Reg. Und tschüss.«
»Ja, danke, Reginald«, rief Clarissa.
»Keine Ursache, Leute!«, lachte der Angesprochene, schon halb im Gehen.
Adrian und Clarissa erreichten die Galerie und liefen durch den Flur zu ihren Zimmern.
***
Angesichts der Tatsache, dass ihnen neugierige Besucherströme drohten, lief Adrian zur Höchstform auf. Er schob Clarissa sanft, aber bestimmt in ihr Zimmer und wies sie an, ihrem Vater kurz zu schreiben, dass sie nach Mowbray fahren würden, wo sie nach der Hochzeit entspannende Flitterwochen verbringen wollten. Adrian mochte Lord Crambray gern und wollte verhindern, dass seine Lordschaft sich angesichts ihrer überstürzten Abreise Sorgen machte.
Überdies schlug er Clarissa vor, Lord Crambray auf seiner Rückreise zu einem Abstecher auf ihr Landgut einzuladen. Zumal er wusste, dass ihr Vater sowieso vorhatte, London in gut einer Woche zu verlassen. Adrian hoffte, dass er dann erst mal genug mit seiner kleinen Frau geflittert und nichts gegen eine kleine Abwechslung einzuwenden hätte. Allerdings hoffte er, dass Clarissas Stiefmutter nicht mitkam. Die Frau war eine falsche Schlange, und Adrian hätte nicht übel Lust gehabt, ihr den Hals umzudrehen. Fakt war, er wollte Lydia nicht in seinem Haus haben.
»Ja, mein Gemahl«, kicherte Clarissa. »Was soll Joan für mich einpacken?«
»Alles«, antwortete Adrian schnell.
Ihre Augen weiteten sich verblüfft. »Alles?«, fragte sie verständnislos.
Zwischen seine Augenbrauen schob sich eine steile Falte. Adrian hasste London wie der Teufel das Weihwasser, folglich war er fest entschlossen, die nächste Zeit nicht dorthin zurückzukehren. Allerdings war er jetzt verheiratet und hatte die Wünsche seiner Frau zu berücksichtigen.
»Wolltest du die Saison lieber in London verbringen?«, erkundigte er sich unschlüssig.
»Aber nein«, gab sie wie selbstverständlich zurück. Damit war Adrian spontan klar, dass sie das nicht sagte, um ihm einen Gefallen zu tun. Er entspannte merklich. Sie fügte hinzu: »Ich fürchte, da bin ich wie meine Mutter. Die hatte auch noch nie viel übrig für das glatte Gesellschaftsparkett.«
»Kann mir nur recht sein.«
Wie zum Dank hauchte Adrian ihr einen Kuss auf die Stirn, dann straffte er sich und wandte sich zum Gehen. »Joan soll ruhig alles zusammenpacken.«
Nach einem kurzen zustimmenden Nicken steuerte Clarissa ihr Zimmer an. Es fehlte nicht viel und sie wäre unterwegs über einen Stuhl gestolpert, der neben der Tür stand. Adrian hielt sie noch rechtzeitig fest und zog sie von dem Hindernis zurück. Da fiel ihm ein, dass sie noch nichts unternommen hatten, um Clarissa eine neue Brille zu besorgen. Er überlegte kurz, ob sie ihre Abreise besser bis nach dem Kauf einer solchen verschieben sollten … aber dann ließ er den Gedanken fallen. Im Dorf Mowbray gab es vermutlich auch Brillen zu kaufen. Zudem sträubte er sich gegen die Vorstellung, dass sie allzu bald wieder gestochen scharf sehen könnte. Die vergangene Nacht war zwar ein vielversprechender Start in die Ehe gewesen, trotzdem wünschte Adrian sich noch ein paar Wochen, um ihre Beziehung zu verfestigen, bevor sie die Narbe sah.
Ärgerlich über seinen Egoismus schüttelte Adrian den Kopf und zog die Tür zu, dann eilte er zu seinem eigenen Zimmer. Sei mal ehrlich, redete er sich zu, Clarissas Leben wäre um einiges einfacher, wenn sie eine Brille hätte. Und sicherer. Ohne ihre Sehhilfe lief sie andauernd Gefahr, Treppen hinunterzustürzen oder sich selbst in Brand zu setzen. Gleichwohl hatte er panische Angst, dass sie, wenn sie seine Narbe sah, überreagieren könnte …
Er strich abwesend über die Narbe und betrat sein Schlafzimmer. Nur noch ein paar Wochen, das schrieb er sich ins Gewissen. Danach würde er Clarissa eine Brille kaufen, damit sie selber lesen konnte und sich sicher bewegte. Bis es so weit war, wollte er ihr vorlesen, damit sie nichts vermisste. Der junge Lord hatte kein Problem damit, dass sie beim Essen kleckerte, das war halb so wild, indes sorgte er sich um Clarissas Sicherheit. Er beschloss, seine Angestellten zu informieren, damit sie stets ein Auge
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