Liebe auf den zweiten Kuss
Bad, um sie abzuwaschen. Das Bad, dreckig, mit gesprungenem Linoleum und schmuddelig grüner Verputzung, war ihr zutiefst zuwider. Ein neuer Anstrich würde Wunder wirken. Doch vermutlich hatte Gabe McKennas Vaters die Farbe ausgesucht, während er 1955 dem Lied »In the misty moonlight« gelauscht hatte.
Also wirklich. Sie wusch die Tassen ab, und aus einer Laune heraus wischte sie auch gleich noch den alten, fleckigen Spiegel ab. Da erhaschte sie einen Blick auf sich selbst und erstarrte. Sie sah aus wie der Tod.
Ihr Haar war stumpf, ihre Haut grau, aber mehr noch, sie selbst war grau, ihre Wangenknochen zeichneten sich scharf ab, ihre Lippen waren schmal und verkniffen. Entsetzt ließ sie das Papiertuch in das Becken fallen und beugte sich vor. Wie hatte es soweit kommen könne, wie konnte sie nur so schlecht aussehen? Sicher lag es am Licht, dieses schreckliche Neonlicht, das von den hässlichen grünen Wänden reflektiert wurde. Kein Mensch konnte in einem solchen Licht gut aussehen …
Aber es lag nicht am Licht.
Schlagartig wurde ihr klar, weswegen ihr Sohn Jase immer so bedrückt und vorsichtig war, wenn er sie zum Abschied umarmte. Und warum Suze und Margie sie ständig aufzumuntern versuchten. Die letzten anderthalb Jahre über musste sie wie eine wandelnde Leiche ausgesehen haben, musste wie eine wandelnde Leiche das Leben anderer überschattet haben. Seit ihrer Scheidung hatte sie zu Hause unzählige Male in den Spiegel geguckt, um sich die Haare zu kämmen oder die Zähne zu putzen. Doch bis jetzt hatte sie sich niemals wirklich angesehen.
Ich muss mehr essen, dachte sie. Ich muss wieder etwas zunehmen. Und ich muss etwas für meine Haut tun. Und für mein Haar. Und…
Sie hörte, wie die Eingangstür aufging. Später. Das nehme ich alles später in Angriff. O mein Gott.
Mit einem alten Sportwagen an einem Septembermorgen durch eine schöne Stadt zu fahren, hätte jeden aufgeheitert, und Gabe bildete da keine Ausnahme. Doch nachdem er eine Viertelstunde lang Trevor Ogilvie, Jack Dysart und ihrem Chefbuchhalter, Budge Jenkins, zugehört hatte, war ihm seine gute Laune gründlich vergangen.
»Sie hat angerufen, euch des Ehebruchs und der Unterschlagung von Firmengeldern bezichtigt, ihr habt euch geweigert zu zahlen, und danach ist nichts passiert«, fasste er die Sachlage zusammen. »Und was genau soll ich in dieser Angelegenheit für euch unternehmen?«
»Sie dingfest machen«, erwiderte Budge, der aussah wie ein breit getretener Pfannkuchen, als er Jack von der Seite anblickte.
»Lass uns nichts übereilen.« Trevor wirkte wie ein Mann in einer teuren Whiskeyreklame.
»Wenn es dein Problem wäre, wie würdest du vorgehen?«, fragte Jack, der eher einem ultrareichen Marlboro-Mann glich.
»Die Rückruffunktion drücken«, erwiderte Gabe. »Falls das nichts bringt, würde ich mir überlegen, wer mich genügend verabscheut, um mich zu erpressen.«
»In jedem Unternehmen gibt es unzufriedene Angestellte«, wiegelte Trevor ab.
»Hat jemand die Stimme erkannt?«, erkundigte sich Gabe.
»Nein«, antwortete Trevor, noch ehe irgendjemand anderes etwas sagen konnte. »Wir haben viele unzufriedene Angestellte.«
»Dem solltet ihr auf den Grund gehen«, meinte Gabe. »Ist denn in letzter Zeit etwas vorgefallen, weshalb zu den bereits vorhandenen unzufriedenen Angestellten ein neuer hinzugekommen wäre?«
»Wovon reden Sie?«, fragte Budge.
»Er möchte wissen, ob ich irgendjemand ganz Bestimmtem in letzter Zeit auf die Zehen getreten bin«, erklärte ihm Jack.
»Nein. Natürlich haben wir ein paar Fälle gewonnen, das macht immer einige Leute unglücklich. Aber das ist nichts Ungewöhnliches. Und wir haben niemanden gefeuert.«
»Und wie steht es mit den Anschuldigungen, die sie vorgebracht hat?«, fragte Gabe.
»Ich bestehe auf einer externen Buchprüfung«, warf Budge wutentbrannt ein.
»Wir werden nicht für eine externe Buchprüfung bezahlen«, winkte Jack müde ab. »Hier glaubt niemand, dass du irgendetwas unterschlägst. Und ich betrüge Suze nicht. Trevor sagt, dass er Audrey nicht betrügt. Die Sache ist einfach nur ausgesprochen ärgerlich.«
»Es ist zum die Wände hochgehen«, fügte Trevor automatisch hinzu. »Aber sie hat nicht wieder angerufen. Meiner Ansicht nach sollten wir warten...«
Jack schloss die Augen.
»Wo solltet ihr das Geld hinterlegen?«, erkundigte sich Gabe.
»Sie wollte zurückrufen und mir den genauen Ort durchgeben«, warf Trevor schnell ein. »Einen
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