Liebe auf den zweiten Kuss
Das hätte sie sich auch gleich denken können. Vermutlich wirkte sein Büro deswegen wie die Kulisse für den Film Rat Pack. Sogar ein Nadelstreifenjackett hing an der Garderobe aus Messing, darüber ein verstaubter Schlapphut. Sie schüttelte den Staub erst von dem Hut, dann von dem Sakko und hängte beides wieder an seinen Platz zurück.
Da hörte sie, wie jemand »Hallo« rief. Sie kehrte an ihren Schreibtisch zurück, vor dem die zierliche Blondine aus dem Café stand.
»Tut mir Leid«, meinte Nell. »Ich habe Sie nicht hereinkommen hören. Normalerweise quietscht die Tür...«
»Ich habe eine andere Tür benutzt.« Die Blondine deutete mit dem Daumen über ihre Schulter. »Die Tür da führt in meinen Lagerraum. Ich bin Chloe. Mir gehört das Café nebenan. Sie machen einen sehr effizienten Eindruck.«
»Vielen Dank«, erwiderte Nell, die ihr nicht ganz folgen konnte.
»Kennen Sie vielleicht jemanden, der für eine Weile das Café übernehmen möchte? Vielleicht bis Weihnachten? Wir haben nur nachmittags geöffnet, es macht also nicht allzu viel Mühe.«
»Oh«, meinte Nell verblüfft. »Nun...« Suze wollte zwar gerne einen Job, doch Jack würde ihr das ausreden, wie er es schon hundert Mal zuvor getan hatte. Und Margie… »Würde diejenige, die die Vertretung übernimmt, auch das Rezept Ihrer Plätzchen erfahren?«
Chloe wirkte überrascht. »Das würde sie schon müssen, nicht wahr? Um die Plätzchen zu backen.«
»Vielleicht kenne ich jemanden«, meinte Nell. »Sie ist eigentlich keine richtige Geschäftsfrau, aber sie würde vermutlich nur zu gerne nachmittags über ein Café managen. Ist die Sache denn sicher?«
»Ich habe mich heute erst entschieden«, erwiderte Chloe. »Wenn einem alle Zeichen zu einer Veränderung raten, sollte man nicht länger damit warten, nicht wahr?«
»Äh, nein«, bestätigte Nell.
»Wissen Sie zufällig, zu welcher Tageszeit Sie geboren wurden?«
»Nein« erwiderte Nell.
»Na, ist nicht so wichtig. Jungfrauen haben immer alles fest im Griff.« Chloe lächelte. »Welches Sternzeichen hat denn Ihre Freundin?«
»Meine Freundin? Ach so, Margie. Äh, ihr Geburtstag ist am siebenundzwanzigsten Februar, glaube ich...«
»Fische. Das ist nicht so gut.« Sie runzelte die Stirn.
»Obwohl – ich bin selbst im Zeichen der Fische geboren, und ich bin eigentlich ganz in Ordnung. Sagen Sie ihr, sie soll mich anrufen.«
»Gut«, stimmte Nell zu. »Was...«
Von nebenan konnte man die Türklingel des Cafés hören, die einen neuen Kunden ankündigte. Chloe wandte sich um und strebte der Tür des Lagerraums zu.
»Chloe?«, fragte Nell aus einem Impuls heraus. »Gibt es irgendeinen Grund, weswegen alles hier so aussieht wie aus einem Film mit Dean Martin?«
»Gabes Vater«, rief Chloe vom Flur. »Patrick hat sowohl Gabe als auch Riley großgezogen. Sie haben beide eine Art Vaterkomplex. Ungelöste Probleme.«
»Es ist alles ein wenig... altmodisch.«
Chloe schnaubte. »Soll das ein Witz sein? Gabe fährt sogar noch den Wagen seines Vaters.«
»Der Wagen ist noch aus den Fünfzigerjahren?« Nell war verblüfft.
»Nein, aus den Siebzigern. Es ist zwar ein Porsche, aber trotzdem.«
»Irgendjemand muss den Mann ins einundzwanzigste Jahrhundert holen«, bemerkte Nell, und Chloe strahlte sie an.
»Die Sterne lügen nie«, sagte sie und verschwand im Lagerraum.
»Stimmt«, meinte Nell, die ihr nicht ganz folgen konnte. Dann rief sie Margie an, erreichte jedoch nur den Anrufbeantworter. »Ich glaube, ich kann dir das Rezept für die Kekse besorgen«, sprach sie auf das Band. »Aber du wirst dafür etwas tun müssen. Ruf mich an.« Dann legte sie auf und stürzte sich erneut in ihre Putzarbeiten.
In Rileys viel kleinerem Büro standen dieselben Ledermöbel, aber hier endete auch schon die Ähnlichkeit. Abgesehen von seinem Computer und einem Plastikbecher voller Stifte, war sein Schreibtisch vollkommen leer. In seinem Regal standen Computerbücher und Krimis, und an der Wand hingen zwei riesige gerahmte Kinoplakate mit einem brummigen Humphrey Bogart in Der Malteserfalke und einer lasziv schwülstigen Marlene Dietrich als Blauer Engel. Das sah Riley ähnlich: Romantisch und überlebensgroß. Gabe McKenna war offenbar derjenige, der die Geschäfte führte, während sein Partner es als eine Art Spiel betrachtete.
Beim Saubermachen in Rileys Büro bemerkte Nell auf den Bücherregalen Muster im Staub wie bei Gabe. Dann sammelte sie die Kaffeetassen zusammen und brachte sie ins
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