Liebe auf den zweiten Kuss
einer Papiertüte in der einen und einem Getränk in der anderen Hand in die Detektei kam.
»Mittagessen.« Jase warf ihr jenes unwiderstehliche Lächeln zu, das ihm seit einundzwanzig Jahren das Leben erleichterte. »Außerdem wollte ich mal dein neues Umfeld erkunden.«
Unwillkürlich musste Nell lächeln. Er war groß gewachsen, kräftig und ungezwungen – ein richtiger All-American-Boy. »Du siehst prima aus.«
»Das musst du behaupten, schließlich bist du meine Mutter.« Er stellte die Tüte und das Getränk auf den Schreibtisch und küsste sie auf die Wange. »Tante Suze ist der Ansicht, dass du essen musst, also musst du essen. Ich möchte mich auf keinen Fall mit ihr anlegen.«
Nell beachtete die Tüte nicht weiter und nahm das Getränk zur Hand. »Was ist das?«
»Milchshake mit Schokoladengeschmack. So kalorienreich wie möglich, hat sie mir eingeschärft.« Er blickte sich in der Rezeption um. »Du bist jetzt schon seit anderthalb Tagen hier und es sieht immer noch so aus? Was hast du denn die ganze Zeit über getan?«
»Meinen Boss kennen gelernt«, erwiderte Nell, als Jase sich auf die Couch setzte und die zierlichen Beinchen unter seinem Gewicht zu ächzen begannen. »Er ist nicht gerade einfach. Manche Dinge werde ich wohl hinter seinem Rücken erledigen müssen.« Sie öffnete die Tüte und beinahe hätte der Geruch des heißen Fettes sie zurückschrecken lassen. Du siehst einfach schrecklich aus , ermahnte sie sich. Iss. Sie nahm eine Fritte. »Was gibt’s Neues? Wie geht es Bethany?«
»Keine Ahnung. Ich habe sie seit ein paar Wochen nicht mehr gesehen.«
»Schon wieder?« Nell ließ die Fritte in die Tüte zurückgleiten. »Jase, das ist in diesem Jahr schon deine vierte Freundin.«
»Du willst doch nicht etwa, dass ich so jung schon was Ernsthaftes anfange?«
»Nein«, erwiderte Nell. »Aber...«
»Dann sei froh, wenn ich mich noch ein wenig amüsiere. Wenn’s dann soweit ist, werde ich mich dann wenigstens wirklich verantwortlich verhalten. Ehrlich.« Jase zögerte ein wenig. »Es ist schließlich Unsinn, mich jetzt schon zu binden. Ich habe noch zwei Jahre an der Uni vor mir, und wer weiß, was danach kommt. Ich bin mir doch noch nicht einmal sicher, was ich später machen möchte.« Wieder lächelte er sie an, so fröhlich und arglos wie damals als Sechsjähriger.
»Ich liebe dich«, sagte Nell.
»Ich weiß«, erwiderte Jase. »Das musst du auch. Du bist meine Mama. Schluss, Ende, Aus. Und jetzt iss endlich.«
»Mache ich doch.« Nell griff wieder in die Frittentüte. »Siehst du?« Demonstrativ knabberte sie an einer Fritte und konnte nur mit Mühe ein Würgen unterdrücken, so sehr widerstrebte ihr der fettige Geschmack. »Aber ich gebe zu, ich stehe nicht sonderlich auf Pommes frites.«
»Früher schon«, widersprach Jase. »Und du hast genau wie Großmutter Essig darüber gesprenkelt. Erinnerst du dich? Ich liebe den Duft von Essig und heißem Öl. Das habe ich euch beiden zu verdanken.«
»Gut zu wissen, dass ich dir ein paar gute Erinnerungen mitgegeben habe«, meinte Nell.
»Davon hast du mir jede Menge mit auf den Weg gegeben.« Jase stand auf, beugte sich über den Schreibtisch und küsste sie noch einmal. »Ich muss los. Versprich mir, dass du das aufisst.«
»Ich werde mich ernsthaft bemühen«, versicherte ihm Nell.
Nachdem er gegangen war, stopfte sie die Tüte in den Mülleimer und wandte sich aufs Neue dem Computer und Gabes Notizbuch zu. Es war wirklich erstaunlich, wie viel der Mann arbeitete. Kaum vorstellbar, was er alles schaffen würde, wenn sie erst die Organisation übernommen hatte.
Damit begann sie weiter zu tippen, in Gedanken bereits bei all den Dingen, die in der Detektei zu verbessern waren.
Am Mittwoch erschien Nell Punkt neun in der Agentur, doch Gabe war nicht da. Über ihre Enttäuschung war sie selbst ein wenig überrascht, so als habe sie sich gänzlich umsonst innerlich gewappnet. Ganz so, als ob sie sich heftig gegen eine Tür stemmte, die dann ganz leicht aufging. Lächerlich und ungeschickt, so kam sie sich vor. Nell brühte Kaffee auf, goss Riley eine Tasse ein und trug sie in sein Büro. Dann ging sie ins Badezimmer, um die letzte Herausforderung anzugehen.
»Was machen Sie denn?«, rief Riley, als er eine halbe Stunde später mit einer leeren Tasse aus seinem Zimmer kam und sie ihr reichte.
»Ich mache das Badezimmer sauber«, erwiderte Nell. Als sie ins Vorzimmer trat und sich die Hände mit einem Papiertuch abtrocknete,
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