Liebe auf den zweiten Kuss
sah sie, wie er auf die vier weißen Mülltüten starrte, die sie bereits gefüllt hatte. »Mehr lassen Sie mich im Augenblick ja nicht machen, und der Dreck da drinnen stammt mindestens noch aus den Zeiten des Kalten Kriegs.«
Riley legte die Stirn in Falten. »Was hätten Sie denn sonst tun wollen?«
»Neue Visitenkarten entwerfen. Die Fenster neu streichen. Die Couch ersetzen«, zählte Nell grimmig auf. »Mir Lynnie zur Brust nehmen. Aber der Chef sagt nein.« Sie sah zu ihm auf. »Sie sind doch sein Partner. Geben einfach Sie mir freie Hand.« Das klang ein wenig zu sehr nach einem Befehl, daher fügte sie hinzu: »Bitte.«
»Hinter Gabes Rücken?« Riley schüttelte den Kopf. »Nein.«
Nell wandte sich wieder dem Badezimmer zu. »Also gut, dann machen Sie sich auf und schnüffeln Sie irgendwem hinterher, damit ich später Ihren Bericht tippen kann.«
»Wir reden nicht einmal mehr miteinander«, bemerkte Riley schon halb aus der Tür.
Eine Stunde, drei Regale und zwei Telefonanrufe später schepperte die Tür erneut. Nell eilte aus dem Badezimmer, denn sie erwartete Gabe. Eine sehr junge, quicklebendige Blondine trat ein und drückte die widerspenstige Tür mit ihrem straffen kleinen Körper zu. Sie strahlte Nell an, und Nell strahlte unwillkürlich zurück.
»Sie müssen Nell sein«, bemerkte die Blondine. »Meine Mutter hat mir von Ihnen erzählt. Ich bin Lu.«
Sie streckte die Hand aus. Als Nell sie nahm, war ihr Händedruck fest, fast schon schmerzhaft. Wie Gabes, kam es Nell in den Sinn. Sie hatte auch seine klugen, dunklen Augen, die einen interessanten Gegensatz zu ihrer blonden, fröhlichen Arglosigkeit bildeten.
Ungewöhnlich, aber attraktiv, dachte Nell. »Nett, Sie kennen zu lernen.«
»Meine Mutter hält Sie für die Beste.« Lu steckte die Hände in die Gesäßtaschen ihrer Jeans, offenbar bestrebt, sich ein eigenes Urteil zu machen.
»Sie ist eine nette Frau«, bemerkte Nell.
»Nett ist nicht alles«, widersprach Lu. »Ihr Sternzeichen ist Fisch. Die bekommen nie, was sie wollen. Besonders dann nicht, wenn sie mit einem Stier verheiratet sind.« Sie warf einen angewiderten Blick zur Bürotür ihres Vaters.
»Sie sind aber kein Fisch«, sagte Nell.
»Ich bin Steinbock«, erwiderte Lu. »Wir erreichen alles, was wir uns in den Kopf setzen.« Sie machte eine Kopfbewegung in Richtung Gabes Tür. »Ist mein Vater in seinem Büro?«
»Nein«, antwortete Nell. »Er ist außer Haus und macht den Leuten das Leben schwer.«
»Vielleicht bekommt er dadurch bessere Laune.« Lu zog ihre Hände aus den Taschen und ließ sich auf die Couch fallen, und alles um sie herum wippte. Wie durch ein Wunder hielt die Couch stand. »Er benimmt sich einfach unmöglich, was meine Europa-Idee betrifft.«
»Welche Europa-Idee?«
»Ich möchte nächsten Monat nach Frankreich«, erläuterte Lu. »Ich möchte mit einem Eurorail-Pass losziehen und die Welt sehen. Er will, dass ich aufs College gehe. Er hat bereits die Studiengebühren bezahlt, und das hält er für ein gutes Argument.«
»Ich habe auch schon Studiengebühren bezahlt«, warf Nell ein. »Und es ist ein Argument.«
»Schon, aber ich möchte nicht aufs College«, sagte Lu. »Schließlich ist es mein Leben. Ich habe ihn nicht darum gebeten, die Gebühren zu übernehmen.«
»Das war vermutlich gar nicht nötig«, wandte Nell ein. »Ihr Vater scheint ein Mann zu sein, der sich um seine Familie kümmert.«
»Sie haben’s erfasst! Dafür, dass Sie ihn erst seit drei Tagen kennen, haben Sie ihn schon ganz gut durchschaut.«
»Es waren drei sehr intensive Tage.«
»Das hat meine Mutter auch gesagt.« Lu musterte sie und kniff dabei ihre dunklen Augen zusammen, bis sie Gabe auf fast unbehagliche Weise ähnelte. »Meine Mutter meint, dass Sie hier das Ruder übernehmen. Sie ist unfähig, meinen Vater zu irgendwas zu bewegen. Ich meine, sie hat sich von ihm scheiden lassen und trotzdem sind sie zusammengeblieben.«
»Sie sind geschieden?«, erkundigte sich Nell.
»Kaum zu glauben, nicht wahr? Er hat ihr das Haus gleich nebenan gekauft, damit sie hier blieb, und genau das hat sie auch getan.« Lu schüttelte den Kopf. »Ich schätze, das ist auch der Grund, weshalb meine Mutter gemeinsam mit mir zusammen nach Frankreich fahren möchte. Aber sie ist noch nicht dort. Wenn Papa nicht möchte, dass sie fährt, wird sie es auch nicht tun.« Sie biss die Zähne zusammen. »Aber ich fahre.« Sie warf einen sorgenvollen Blick in Richtung Gabes Tür. »Glaube
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