Liebe auf eigene Gefahr Roman
pergamentgebundenen Bänden über Nelson steht. Dort klappt sie ihre Brille auf, die sie an einer Goldkette um den Hals trägt, und liest die Etiketten. »Die Wiener Sängerknaben«, verkündet sie nach einer Weile. »Das klingt bestimmt festlich.« Sie legt die CD ein, worauf die Klänge von »Exultate Jubilate« den Raum erfüllen. Nicht unbedingt gemütlich, aber besser als das ohrenbetäubende Nichts.
»Ma’am?« Eine Frau in adretter grauer Uniform drückt die Schwingtür auf. »Der Braten ist in wenigen Minuten fertig,
wenn Sie also bitte am Tisch Platz nehmen wollen. Die Fischcremesuppe ist bereits serviert.«
»Danke, Mary.«
»Wer will sein Geschenk haben?«, fragt Jake und hüpft von der Leiter.
»Jake, die Suppe steht auf dem Tisch.« Susan streicht sich den Tweedrock glatt.
»Ich weiß, aber ich kann nicht mehr warten. Geht ihr schon mal zum Tisch, ich bin gleich wieder da.« Er springt die Treppe hoch und lässt uns miteinander allein.
»Sie haben so ein schönes Zuhause«, sage ich und stelle mich neben Susan auf die Schwelle der alten Flügeltüren, die ins Esszimmer führen.
Als sie sich umsieht, landet ihr Blick auf der von MTV zerkratzten Holztäfelung. Sie zieht einen Schmollmund, und der rosa Lippenstift franst in ihre tiefen Raucherfalten aus. »Du hast ja keine Ahnung, wie schwierig es war, das alles hier oben anständig einbauen zu lassen. Ich hatte ein ganzes Team aus Boston hier, rund um die Uhr.«
»Ich fand das Haus auch vorher schön«, sage ich und nehme ihr gegenüber am großen Esstisch Platz. Schweigend sitzen wir unterm Kristallleuchter, der Streifen auf die braune Jacquardtapete wirft. »Während der Higschool-Zeit. Ich weiß noch, wie perfekt immer alles eingerichtet war.« Sie erlaubt sich ein dünnes Lächeln.
Als Jake zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe heruntergepoltert kommt, heben wir beide den Kopf. Er stürmt herein, wirft mir eine kleine, vogeleiblaue Schachtel zu und läuft um den Tisch herum zu seiner Mutter, der er ein großes, glänzend braunes Paket mit der Aufschrift J. Mendel überreicht. Dann setzt er sich auf den Stuhl, der ihr am nächsten ist, während sie ihr Champagnerglas leert und nach der Rotweinkaraffe greift.
»Was ist?«, fragt er und schaut zwischen uns hin und her.
»Macht sie auf!« Er rückt seinen Stuhl noch ein weniger näher an seine Mutter heran.
Völlig perplex schaue ich auf die Schachtel in Ringgröße hinunter. »Jake? Wie hast du …?«
»Ich habe einen meiner Mitarbeiter hingeschickt, gleich um zehn, als sie aufgemacht haben. Und um Viertel nach zehn war er schon wieder im Auto auf dem Weg zurück.« Er strahlt. Weil von Susan keinerlei Regung kommt, löse ich die rote Schleife und hebe den Deckel. Drin liegt eine kleine Samtschachtel in der gleichen Farbe. Fragend schaue ich ihn an. Er lächelt zurück, aber da er nicht vor mir auf die Knie fällt, atme ich erleichtert auf und mache die Schachtel einen Spalt auf. Im Inneren liegt ein viereckiger Saphir von der Größe eines Scrabble-Steins, flankiert von zwei Baguettediamanten.
»Jake«, sage ich und bin sprachlos. »O mein Gott!«
Susan leert ihr Glas.
»Gefällt er dir?«, fragt er.
»Er ist hinreißend.« Ich kippe die Schachtel, damit der Saphir im Licht funkelt. »Aber ich kann ihn nicht annehmen.«
»Es ist nur ein Versprechensring. Für deine rechte Hand. Ich denke, ich habe dich heute schon oft genug gebeten, Ja zu sagen. Aber ich möchte, dass du ihn behältst. Stell ihn dir als ein Anstecksträußchen, dreizehn Geburtstagsgeschenke, dreizehn Weihnachtsgeschenke, ein Schul- und ein Universitätsabschlussgeschenk vor.«
»Ist gut«, sage ich lachend und schiebe mir das schwere Platin über den Finger, spüre die Substanz seines kühlen Gewichts. »Wenn man es so betrachtet, fehlen noch die passenden Ohrringe.«
»Mom?«, drängt er und lehnt sich vor.
»Wer möchte das Tischgebet sprechen?«
»Mom?«, wiederholt er und umfasst die Armlehnen, die Ellenbogen wie zusammengefaltete Flügel ausgestreckt.
»Natürlich, mein Lieber. Alles nach deinem Zeitplan.« Ein Zupfen an der braun-weißen gerippten Schleife, und schon geht sie auf. Unter Jakes erwartungsvollem Blick hebt sie den Deckel und faltet das braun-weiße Seidenpapier auseinander. Mit angehaltenem Atem beobachten wir, wie sie einen hinreißenden, horizontal gearbeiteten Nerzpullover hervorzieht.
»Der ist ja fantastisch«, sage ich, weil von Susan keinerlei Reaktion kommt. »Sehr Audrey
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