Liebe auf eigene Gefahr Roman
sonst voll?«
»Was ist mit den Vogelhäusern?«, fragt Jake und zeigt auf die Reihe bunt bemalter, mit Körnern gefüllter Häuschen, die unsere Veranda säumt.
»Dad baut die Dinger, seit das Forschungszentrum zugemacht hat. Sie verschaffen ihm ein produktives Ventil, wie Mom es nennt. Hier, halt das mal«, sage ich zu Jake und
drücke ihm die gebündelte Post in die Hand, während ich auf der Veranda mit den Schlüsseln hantiere. »Mal schauen, ob da meine Bewerbungsunterlagen fürs Dartmouth-College drin sind.«
Er blättert die Kataloge durch und zieht einen Umschlag heraus. »Nein, aber hier sind die von der University of Virginia.« Ich drücke die Eingangstür zum beinahe genauso kalten Flur auf, und wir stampfen uns den Schnee von den Stiefeln. Vom hinteren Teil des Hauses schallt uns eine Gerichtssendung entgegen, während ich den Thermostat auf zwanzig Grad hochdrehe. »Ich wette, mein Keller ist jetzt schön warm, richtig kuschelig.«
»Sei still«, lache ich. »Ein Nachmittag hier wird uns nicht umbringen.« Wir schnüren unsere Stiefel auf und schleudern sie auf die Fußmatte an der Tür. Als Jake unsere Mäntel an die Haken hängt, erliegt er wie immer dem Zwang, sich meine venezianische Maske aus der sechsten Klasse ans Gesicht zu halten.
» Das Phaaaaaaaantom der Oper ist hier! «, bellt er. Dann beißt er mir in den Nacken, bis ich kreische und nach ihm schlage, während ich die zurückgewiesene Post mitsamt dem UVA-Umschlag auf den Tisch im Flur lege. »Gib’s zu, du hast die Maske vermisst.«
Als Antwort schlingt Jake die Arme um mich und zieht mich zu einem Kuss heran.
Widerwillig löse ich mich von ihm und halte ihn an der Hand. »Lass uns schnell Hallo sagen, dann können wir hochgehen und lernen.« Ich hebe anzüglich die Augenbrauen und strecke die Zungenspitze unter der oberen Zahnreihe hervor.
Mit einem leisen Knurren folgt er mir durch die Schwingtür in die leere Küche. »Dad?«, rufe ich. Der große rostfreie Nudeltopf steht klappernd auf dem Herd, sein Boden färbt sich schon schwarz über der Flamme. Nachdem ich das Gas
ausgedreht habe, schnappe ich mir ein Geschirrtuch, um den Deckel hochzuheben. Der Schwall Dampf, der mir entgegenschlägt, enthüllt, dass das Wasser verkocht ist. Die offene Packung Lasagne-Nudeln ist über den Schneideblock verstreut, neben einem klebrigen, roten, kreisförmigen Abdruck, den der Deckel des Tomatenmarks hinterlassen hat. Ich greife nach dem Schwamm, um die grünen Gewürzkrümel aus den offenen, umgekippten Gläsern wegzuwischen. »Dad?«, rufe ich noch einmal.
Jake ist an der Tür stehen geblieben, die Hand um die Faust der anderen Hand gelegt. »Fernsehzimmer?«
Ich schieße an ihm vorbei und folge dem Geräusch des Fernsehers zu Dad, der auf dem Sessel alle viere von sich streckt, als hätte er keinen Muskel mehr bewegt, seit ich an diesem Morgen zur Schule gegangen bin.
»Dad?«
Er rollt den Kopf zur Seite, um mich aus rot geränderten Augen anzusehen.
Mein Magen verkrampft sich. »Dad, das Wasser ist verkocht.«
»Was?«, fragt er dumpf.
»Das Wasser«, wiederhole ich und versuche herauszufinden, was es ist, das nicht zu ihm durchdringt – meine Worte oder meine Anwesenheit.
»Oh.« Einen Moment lang sieht er verblüfft aus, bevor er die abgegriffene Wolldecke von der Sessellehne zieht und sie über seiner Kordhose ausbreitet. Er greift nach der Fernbedienung und stellt den Fernseher lauter, verfehlt jedoch die Tischkante, als er sie zurücklegen will. Das Gerät fällt klappernd zu Boden, von der Rückseite bricht die Plastikplatte ab, und die Batterien rollen übers Holz auf meine Hausschuhe zu.
»Scheißding«, seufzt er.
Ich hebe die Aufputschmittel und die kaputte Fernbedienung
auf und trete vor den Fernseher. »Dad, Mom kommt in ungefähr zehn Minuten nach Hause.«
Seine Augen fallen zu.
»Okay, Jake und ich werden also einfach … ach.« Ich lasse ihn mit dem schmetternden Fernseher sitzen und gehe in die Küche zurück, wo mich der Gestank nach verbranntem Stahl empfängt.
»Alles in Ordnung mit ihm?« Jake steht immer noch in der Tür herum.
»Ich weiß nicht. Nein.« Ich gehe zum Fenster über der Spüle und schiebe die Glasscheibe hoch. »Ich verstehe es einfach nicht. Wie jemand, dem es gut geht, der eine ganz normale Person ist, sich in jemanden verwandeln kann, der … Hör mal, vielleicht solltest du einfach nach Hause gehen, heute ist nicht unbedingt …«
»Ich kann doch helfen.« Er flitzt zum
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