Liebe auf südlichen Straßen
wird dafür sorgen, daß ich nicht in der Hölle zu schmoren brauche. Ich habe mich ihr anvertraut, sie weiß über alles Bescheid, und sie blinzelt mir jedesmal zu, wenn ich vor ihr knie, und sagt: schon gut, Anna, mach nur so weiter...«
»Wie alt ist er?« fragte er, wie vor den Kopf geschlagen.
»Im Januar wurde er elf Jahre alt. So, und jetzt rechne es dir aus, Lorenzo!« sagte sie mit einem kleinen Lachen, das tief aus der Kehle kam. »Er ist mein Sohn. Du brauchst dir um ihn keine Sorgen zu machen. Und Pietro liebt ihn wie sein eigenes Kind! Nun, Pietro sollte sich auch getrauen, ihn nicht zu lieben!«
»Ich habe nichts davon gewußt...«
»Wie solltest du auch? Als du dich dem Podestà stelltest und als dich die Karabinieri nach Verona brachten, da war ich selber ja noch nicht einmal sicher, ob die Madonna meinen Wunsch erhört hatte.«
»Ja, gewiß, aber...«
»Nichts von ja und aber!« unterbrach sie ihn. »Dieser Sohn ist an meiner Brust gewachsen und groß geworden, und er wird ein Mann werden und seinen Weg gehen — ohne mich — und wieviel mehr erst ohne dich! Sie wachsen von selbst. Wie die Bäume...«
»Er verkauft am Bagno publico Limonen, nicht wahr?«
»Madonna mia! Du hast ihn gesehen?«
»Ja, meine Frau hat ihm einen Zweig abgekauft. Und denk dir, ihr fiel seine Ähnlichkeit mit mir auf!«
»Per dio! Die hat er wohl! Er erinnert mich an dich, sooft ich ihn ansehe. Ein hübscher Bengel, nicht wahr? Und tüchtig! Oh! Seit vier Jahren hat er seinen Limonenstand an der Straße, und es gibt Tage, an denen er sieben- und achthundert Lire heimbringt. Er ist wirklich der tüchtigste Bursche weit und breit! Und geschickt! Er kauft die Limonen für ein Nichts ein, alte Ware, die auf den Misthaufen geworfen werden müßte; aber er spritzt sie auf, daß die Früchte prall und rund aussehen, und er hat einen Spezialtrick, den er niemand verrät, ihnen über Salmiakdampf Farbe zu geben und sie mit einem Hauch Wachs und einem Lappen aufzupolieren, daß sie aussehen, als wären sie soeben vom Baum gepflückt worden.«
»Schau an«, murmelte er und warf einen heimlichen Blick auf Elisabeth. Aber sie spielte hingegeben mit dem Hund, der ihr seine Kunststücke Vormächte.
»Nur eins gefällt mir nicht!« sagte Anna und zog die Nase kraus. »Der Bengel raucht! Stell dir das bitte vor! Er raucht und ist noch nicht einmal zwölf Jahre alt. Was ich ihm schon deswegen den Hintern verdroschen habe! Aber es nützt nichts. Nicht etwa, daß er sich die Zigaretten kauft, nein, dazu ist er zu sparsam; er dreht sie sich aus Stummeln und bettelt sie sich von den Fremden zusammen. Aber da hast du auch wieder sein gutes Herz: die ganzen Zigaretten, die er zuweilen geschenkt bekommt, hebt er für Pietro auf — oder wenigstens einen Teil davon...«
»Ich habe ihm selber zwei gegeben...«
»Lorenzo! Das hättest du nicht tun dürfen!«
»Ich wußte ja nicht, wem ich sie gebe.«
»Da hast du wiederum recht«, sie sah ihm prüfend ins Gesicht: »Du siehst plötzlich so bedrückt aus, Lorenzo. Und ich beginne mir Vorwürfe zu machen, daß ich es dir überhaupt gesagt habe. Aber als du mich fragtest, ob ich von Pietro Kinder habe, da quoll es mir einfach aus dem Herzen heraus...«
»Nun«, sagte er gepreßt, »daß es keine geringe Überraschung für mich war, kannst du dir gewiß denken...«
»Aber doch eine gute Überraschung, wie? — Ich bin sehr stolz auf meinen Lorenzo. Und du kannst es auch sein, soweit du daran beteiligt warst. Er ist wirklich solch ein hübscher und braver Junge! Ich sage dir, Lorenzo, es wird eine Zeit kommen — und sie ist gar nicht mehr so fern — da werden die Mädchen hinter meinem Lorenzo her sein wie die Bienen hinter dem Blütenhonig! Bist du nicht auch davon überzeugt, seit du ihn gesehen hast?«
»Hm... das ist möglich... Ich weiß nur nicht recht, ob das ein Glück oder ein Unglück ist...«
»Ein Glück für einen Mann! Was sonst? Und er wird die Schönste und die Reichste wählen, genau wie du, Lorenzo. Du glaubst nicht, wieviel er von deinem Charakter besitzt.«
»Ich weiß wahrhaftig nicht, wie du mich beurteilst... Aber was ich höre, ist eigentlich nicht sehr schmeichelhaft...«
»Erlaube!« rief sie, »ein Mann muß wissen, was er will. Und ein Mann muß ein Ziel haben. Und Reichtum ist ein gutes Ziel!« —
Der Schatten des Monte Gargnano, ein spitzer Kegel, war über den See hinausgewandert und wuchs rasch drüben an den Bergen empor.
»Wie die Zeit verflogen
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