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Liebe auf südlichen Straßen

Liebe auf südlichen Straßen

Titel: Liebe auf südlichen Straßen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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frischer und noch belebender als der erste Trunk.
    »Wie lange liege ich hier?«
    »Seit heute früh. Jetzt ist es später Nachmittag. Wir fanden Sie neben der Mauer im Gebüsch, bevor die Karabinieri aus Gargnano den Toten abholten. Ein entlassener Soldat, wie ich gehört habe. War er ein Kamerad von Ihnen?«
    »Nicht eigentlich... Wir kannten uns von früher und trafen uns vor ein paar Tagen zufällig wieder...«
    »So, so«, murmelte sie, »zufällig... Und wo wollten Sie hin?«
    »Wir haben vor dem Krieg bei Egna in einem Wasserkraftwerk gearbeitet und wollten uns am alten Platz nach Arbeit umsehen.«
    »Sie heißen Carlo Patteta, nicht wahr?«
    »Ganz recht, Carlo Patteta aus San Nazzaro bei Novara...«
    »Ein Bauernknecht, wie?«
    »Das war ich früher... Meine Eltern haben nämlich einen kleinen Hof in der Nähe von San Nazzaro... Casa Felipe heißt er... Aber ich arbeite lieber in der Industrie. Man verdient besseres Geld und leichter als auf dem Lande.«
    Sie mochte etwa fünfundzwanzig Jahre alt sein. Ihre Hände waren rauh und verarbeitet. Das dichte blauschwarze Haar wurde durch das Kopfband kaum gebändigt. Ihre Gestalt war derb. Ein strammer Frauenkörper mit großen schweren Brüsten, aber schmalen Hüften, als hätte sie noch nicht viele Kinder zur Welt gebracht. Sie hatte das Gesicht einer Süditalienerin mit scharfen, aber nicht unschönen Zügen. Die großen schwarzen Augen mit langen Wimpern unter dichten, dramatisch gezogenen Brauen beherrschten das Gesicht. Sie erinnerte mich ein wenig an Pauls Angela.
    Sie sah mich an und stemmte die Hände in die Hüften.
    »Genug gelogen«, sagte sie streng, »sagen Sie jetzt endlich die Wahrheit!«
    »Was für eine Wahrheit, Signora?«
    »Sie heißen weder Carlo noch Patetta, und Sie stammen nie im Leben aus San Nazzaro, und Sie sind niemals Bauernknecht gewesen !«
    »Aber Signora...!« stammelte ich bestürzt.
    »Ich bin Anna Luzzatto, die Witwe von Matteo Luzzatto, der vor drei Jahren bei Tripolis gefallen ist. Ich lebe hier bei meinem Schwiegervater Anselmo Luzzatto, mit dem ich dich heute im Morgengrauen aus dem Gebüsch, hinter dem du geröchelt hast, in diese Gerätekammer getragen habe. Das ist meine Wahrheit! Und nun will ich deine Wahrheit wissen!«
    »Also gut, Signora Luzzatto, Sie sollen sie erfahren: ich heiße Lorenzo Bonaventura...«
    »Lüge nicht!« fuhr sie mich an, »du heißt nicht Bonaventura! Du bist ein deutscher Soldat! Denn du hast im Fieber deutsch gesprochen! So, und jetzt weißt du auch, wie ich dir hinter deine Schliche gekommen bin!«
    »Ja, Signora, ich bin ein deutscher Soldat und versuchte, mich mit meinem Kameraden, eben dem, der hier erschossen wurde, nach Deutschland durchzuschlagen, weil wir nicht ewig in den Lagern schmoren wollten. Und Lorenz Bonaventura heiße ich wirklich, denn ich stamme aus einer italienischen Familie, die vor langer Zeit nach Deutschland ausgewandert ist.«
    »Wo hast du die Papiere auf den Namen Patetta her?«
    »Wir haben die Ausweise in der Nähe von Casaletto zwischen Mailand und Brescia auf einem Bauernhof gestohlen.«
    »Kannst du mir schwören, Soldat, daß du den Besitzer der Papiere nicht umgebracht hast?«
    Ich erzählte ihr wahrheitsgetreu in kurzen Zügen, wie wir in den Besitz der Personalausweise gekommen waren. Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
    »Madonna mia!« sagte sie entsetzt, »ihr seid ja die richtigen bri-ganti gewesen!«
    »Anders war an Papiere leider nicht heranzukommen«, sagte ich und heuchelte Zerknirschung über meine Untaten.
    »Schlimm, schlimm!« sagte sie noch immer entrüstet, »aber ihr habt eure Strafe abbekommen. Der eine tot, und dir haben sie durchs Bein geschossen. Da liegst du nun. Recht ist dir geschehen!« Ich leckte mir die fieberzersprungenen Lippen.
    »Hast du Durst, du Räubersoldat?« fragte sie finster.
    »Ich bin wie ausgetrocknet...«
    »Bleib liegen, ich gebe dir zu trinken. Man hat auch den Schächern neben dem Kreuz des Herrn den Schwamm mit Essig gegeben, und schlimmer als die beiden wirst du wohl auch nicht sein...«
    Sie kniete neben mir nieder, hob meinen Kopf an und setzte mir den Krug an die Lippen. Ihr Mund ahmte meine Schluckbewegungen nach, und ich kam mir klein und hilflos wie ein Brustkind vor.
    »Hast du auch Hunger?« fragte sie, als sie mich getränkt hatte.
    »Nein, Signora, nur Durst...«
    »Du mußt trotzdem etwas essen, Soldat. Wir haben zwar selber nicht viel. Es sind schlechte Zeiten. Aber wir haben unser Öl.

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