Liebe auf südlichen Straßen
anderes übrigbleiben...«
»Ich dachte schon mal daran, direkt nach Norden zu gehen und es über die Schweiz zu versuchen. Bis Como sind es von hier keine achtzig Kilometer...«
»Verlaß dich darauf, daß dich die Eidgenossen schnappen und postwendend über die Grenze zurückjagen.«
»Weißt du, Genosse«, sagte er, »eigentlich habe ich auf solch einen Kumpel wie dich die ganze Zeit über gewartet. Einer müßte mit ‘ner schwarzen Brille blind spielen, und der andere müßte den Leithammel machen. Blind zieht immer, bei den Bauern und bei den Kontrollen...«
Er hatte Einfälle, das mußte man ihm lassen!
»Noch leichter ginge es aber, wenn wir drei oder vier wären; alle müßten natürlich so italienisch sprechen können wie wir!«
Ich sah ihn an, als begänne ich jetzt doch an seinem Verstand zu zweifeln.
»Nee, nee, paß mal Achtung, Mann!« sagte er und hob einen Finger an die Nase, »eine olle Maschinenpistole oder ‘n paar Karabiner treibst du hier doch in jeder Scheune auf. Wir brauchen uns bloß rote Tücher um den Hals zu würgen und würden als kleine Partisanengruppen mit speziellem Auftrag von Dorf zu Dorf gehen. Immer aus dem letzten kommen und grad im nächsten was zu erledigen haben, capito?«
Natürlich verstand ich! Und es war wirklich keine schlechte Idee, die er da entwickelte. — Ein Bauer kam auf seinem bicicletta rasselnd — da er auf den blanken Felgen fuhr — die Straße entlang geradelt. Bei unserm Anblick zögerte er zunächst und trat dann heftiger in die Pedale. Er fuhr, wie alle Italiener, mit den Absätzen, die Spitzen der Schuhe scharf nach außen abgewinkelt.
»Siehste!« sagte Ernesto, »der hatte nur Angst, daß wir ihm das Fahrrad klauen. Er wäre heilfroh gewesen, mit einem Tritt in den Hintern und ohne Papiere davongekommen zu sein.«
Ich überlegte keine Sekunde länger. Ernesto war mein Mann.
»Los, steh auf und komm mit! Wir schaukeln das Kind zusammen!«
Noch am gleichen Tag stahl Ernesto einer Bauernmagd ihr rotes Kopftuch, das sie gewaschen und zum Trocknen über einen Busch gehängt hatte. Und einen Tag lang schnitzte ich, während wir uns im Ufergestrüpp des Sério verbargen, aus einem Stück Weidenholz so naturgetreu die Modelle einer Maschinenpistole und eines Revolvers, daß wir in der folgenden Nacht riskieren konnten, einen einsamen Bauernhof in der Nähe von Casaletto auszuheben. Ich brüllte, als ständen zwanzig Mann hinter mir, einen Befehl in die Finsternis, das Gehöft abzuriegeln und jedermann zu erschießen, der zu fliehen versuche. Ernesto brüllte zurück, daß das Haus umstellt sei und rannte herbei. Wir trieben die Bewohner, eine Familie von fünf Köpfen, darunter zwei Männer, in einen Raum zusammen, und während ich sie beschuldigte, Faschisten im Hause versteckt zu halten, durchsuchte Ernesto die Schlafkammern. Die Leute standen, die Arme hochgereckt, zitternd an der Wand und schworen bei allen Heiligen, daß sie gute rossi seien und daß noch nie ein gottverdammter Faschist außer dem Pächter, der gleich nebenan wohne und schon längst zur Hölle geschickt zu werden verdiene, jemals das Haus betreten habe. Ernesto kam nach einer Weile zurück.
»Niente, capitano«, sagte er und blinzelte mir zu, »kein Faschist im Haus... Die Beschuldigung scheint falsch gewesen zu sein.«
Ich ließ die Holzpistole sinken.
»Porco maledetto! Und da hetzt man uns in die Nacht hinaus! — Also los, in die Betten mit euch! Verdammt, so gut wie ihr möchte ich es auch mal haben, fressen, saufen und schlafen. Wo wohnt das Faschistenschwein von Pächter?«
»Keine tausend Schritte von hier entfernt, Signor capitano!« rief der Bauer eifrig, »soll ich Sie führen?«
»Nicht nötig, Alter, ich habe ein paar Männer dabei, die sich in dieser Gegend auskennen. Gute Nacht!«
Sie entließen uns mit den aufrichtigsten Wünschen für das nächste Vorhaben, und wir machten, daß wir davonkamen.
»Mann!« keuchte Ernesto, während wir durch die Nacht rannten, »zwei prima Ausweise! Und dazu noch von einem der Kerle die Militärzulassungspapiere! Das Unternehmen hat sich gelohnt!«
Bei Tagesanbruch hatten wir Zeit genug, die Papiere zu studieren. Ich hieß fortan Carlo Patetta, war Landarbeiter, und war am 8. Juli 1918 in San Nazzaro bei Novara als Sohn der Eheleute Julio und Eugenia Patetta geboren. Ernst Becker hatte mehr umzulernen. Er hieß nun Antonio Salvioli, stammte aus Gazzano di Trento und war als Gefreiter des elften piemontesischen
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