Liebe auf südlichen Straßen
verbunden!«
Ich zögerte, denn ich lag nur mit einem reichlich kurz geratenen Hemd bekleidet auf meinem Lager.
»Mach schon voran!« sagte sie streng, »ich weiß, wie ein Mann ohne Hose aussieht. Und ich bin nicht mehr so jung, daß ich von dem bißchen Anblick blind werde.«
Sie stellte die Schüssel auf den Boden und schlug die Wolldecke zur Seite. Ich biß die Zähne zusammen, denn das Ablösen des angetrockneten Verbandes tat ungemein weh. Schließlich riß sie ihn mit einem energischen Ruck weg. Die Wunde sah nicht gut aus. Der Ausschuß war sauber, aber die Ränder des Einschusses hatten sich eitrig verfärbt. Anna wusch das Bein sorgfältig und sehr vorsichtig ab.
»Hier bearbeiten sich die jungen Männer manchmal, wenn sie wegen einer ragazza verrückt werden und Streit miteinander bekommen, mit den Messern. Mit den gleichen Messern, mit denen sie ihren Käse und die Köderfische zerteilen. Das gibt oft sehr böse Verletzungen. Aber wir haben da ein altes Hausmittel. Ich weiß selber nicht, weshalb es hilft, aber es hilft fast immer. Nur ist es ekelhaft, wirklich sehr ekelhaft...«
»Urin?« fragte ich.
»Was soll daran ekelhaft sein?« fragte sie verwundert, »das ist doch die natürlichste Sache von der Welt!«
»Dann weiß ich nicht, was Sie meinen, Signora...«
»Nun, wir fangen Fleischfliegen und setzen sie an die Wunde. Und die Fliegen legen ihre Eier hinein. Es juckt fürchterlich. Es muß kaum zum Aushalten sein. Aber das Jucken macht die Wunden sauber, und sie heilen wie durch ein Wunder.«
Das Wunder war nicht so schwer zu erklären.
»Wenn du es also versuchen willst, Soldat...«
»Her damit!« sagte ich, »aber wo kriegen wir die Fliegen her?«
»Ich habe sie schon dabei!« sagte sie und holte eine Wachszünderschachtel aus der Schürzentasche und hielt sie an mein Ohr. »Drei besonders schöne fette Fliegenmädchen...«
Ich vermied es, zuzuschauen, als sie mich nach der Methode von Gargnano behandelte und schlug erst die Augen auf, als sie mir den frischen Verband ums Bein wickelte.
»Du bist doch katholisch, Soldat...«, sagte sie nach getaner Arbeit, »du trägst das Bild der Madonna von Loreto auf der Brust. Laß uns zusammen den Wundsegen beten. Die Madonna von Loreto ist auch meine Madonna. Sie ist eine große Wundertäterin!«
Mein Gott, wie nah standen Gina und diese Frau beieinander! Es war, als hörte ich Gina aus ihrem Munde sprechen: die stärkste Madonna von ganz Italien, vielleicht von der ganzen Welt...
»Schließ deine Hände über dem Amulett und sprich mir laut oder in Gedanken nach: Heilige Mutter Gottes von Loreto… Gnadenreiche Trösterin der Verwundeten und Leidenden... Liebreiche Helferin in allen Nöten des Leibes und der Seele... Ich empfehle diese meine Wunden und Schmerzen deiner süßen Hand... Mit der du die Wunden deines Sohnes berührt hast... Mögest du dem Blut dieser Wunde Einhalt gebieten und sie schließen und heilen... Amen!«
Sie erhob sich und schüttete das Wasser vor die Tür.
»So«, sagte sie, »damit haben wir alles getan, Soldat. Und jetzt sollst du deine Suppe bekommen.«
Sie ging und kam bald mit einem Napf voll dampfender Nudelsuppe zurück, auf der gelbe Fettaugen schwammen. Die langen Fadennudeln waren schlecht zum Füttern geeignet. Anna holte einen Schemel, schob ihn mir in den Rücken und stützte ihn gegen die Wand ab. Ich konnte meine Suppe selber auslöffeln, und sie hockte neben mir am Boden und schaute mir, die Arme um die Knie geschlungen, zu.
»Schmeckt’s?« fragte sie herzlich.
»Wie bei meiner Mutter«, gab ich zur Antwort.
»Oder wie bei Gina, was?«
Ich starrte sie an und ließ den Löffel auf halbem Weg zum Munde stehen: »Wie kommen Sie auf diesen Namen?«
»Du hast ihn im Fieber oft genug gerufen... Aber iß ruhig weiter! Und erzähl mir, wer Gina ist, oder erzähl es auch nicht, wenn du es nicht erzählen magst. Ich bin nicht sehr neugierig.«
»Gina hat mir das Amulett geschenkt...«
»Dann hat sie dich geliebt! Und ein geschenktes Amulett, wenn es aus Liebe geschenkt wird, ist noch kräftiger! Ich bin nicht abergläubisch wie die Leute von Malcesine! Aber das ist einfach eine Tatsache, die jeder Mensch weiß. — So, so, ihr habt euch also geliebt...«
»Ja, wir lieben uns, und wir werden heiraten, wenn wieder normale Verhältnisse einkehren.«
»Sie ist Italienerin, nicht wahr?«
»Ja, sie ist die Tochter eines römischen Marchese. Ich lernte sie vor einem halben Jahr auf dem Gut ihres Vaters
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