Liebe auf südlichen Straßen
Schlechtigkeit der Welt, die mir nicht jede von der andern erzählt; Dinge, sage ich dir, daß sich die Haare sträuben! Clara Produtti ist Witwe, und Carlotta Bartoli weiß genau, weshalb sie Witwe ist: weil sie ihren Mann vergiftet hat! Es ist schon wahr, Carlo Produtti war ein Säufer und ein Taugenichts... Aber Madonna mia! Wo käme die Welt hin, wenn jede Frau ihren Mann umbringen wollte, weil er säuft. — Lachen muß ich nur, wenn Clara Produtti von ihrem Zeno zu schwärmen beginnt. Zeno ist nämlich ihr ältester Sohn. Aber er ist ein Trottel. Er ist solch ein Trottel, daß ihm die Kinder auf der Straße nachlaufen und ihn fragen, wie die Roßäpfel schmecken. Früher hat er sie gefressen, wenn du ihm zehn Centesimi gabst. Aber wenn Clara von ihrem Zeno erzählt, dann tut sie gerade so, als ob er so schön und so klug wie der Erzengel Michael wäre, dessen Bild du im Kloster San Francesco gleich links auf dem Seitenaltar sehen kannst. Und weshalb tut sie das? Ich will es dir sagen, Lorenzo: weil sie mich mit ihrem Zeno verkuppeln möchte. Mit einem Trottel, von dem man nicht einmal weiß, ob er ein Mann ist! Aber ihr Ölgarten grenzt an den unsern, verstehst du, Lorenzo? Und beide zusammen, das wäre ein schöner Besitz! Aber da schmeißt ihr der Hund was!«
So erfuhr ich nach und nach die Geschichten der Nachbarschaft und den Klatsch von ganz Gargnano und Umgebung. Anna saß oder kniete neben mir und erzählte mir mit flüsternder Stimme ihre Neuigkeiten, immer temperamentvoll, immer amüsant und immer durch ihre sehr persönlich gefärbte Brille gesehen. Sie konnte stundenlang schwatzen und kam dabei vom Hundertsten ins Tausendste, und die Heimlichkeit, in der es geschah, schlang ein Band um uns, dem wir uns nicht entziehen konnten. Ihre Stimme, ihr leises tiefes Lachen, ihre Wärme und der Geruch ihres gesunden Körpers füllten den winzigen Raum und weckten meine Wünsche, und so geschah es, daß sie eines Nachts zu mir hinüberschlüpfte und in meinen Armen lag. Daß wir uns fanden, erschien uns so natürlich wie der Hunger nach dem täglichen Brot und der Durst nach frischem Wasser. Wir sprachen nicht darüber, ob es Liebe sei, was uns verband. Die neue Beziehung änderte nichts an unserem Verhalten und am Ablauf des Tages. Nach wie vor arbeitete Anna mit dem alten Anselmo im Garten, besorgte das Hauswesen, fand dann und wann ein paar Minuten Zeit, um mir die Wunde zu verbinden und mir ein Stück Brot oder einen Schluck Wein zu bringen; nach wie vor erzählte sie mir abends ihre komischen Geschichten, die auch komisch wurden, wenn sie tieftraurige Inhalte hatten, verließ mich, wartete, bis der alte Anselmo eingeschlafen war, und kam dann wieder zu mir, um zu gehen, wenn der Morgen grau durch die Ritzen zu schimmern begann.
Eine Woche mochte so vergangen sein, als eines Nachts plötzlich die Tür zur Kammer aufgestoßen wurde. Helles Mondlicht strömte in den winzigen Raum, und der dürre Schatten des alten Anselmo, dem das Hemd um die dünne Beine schlotterte, fiel über uns.
»Hier finde ich dich also, du elendes Weibsstück!« krächzte er, »das ist also der Grund, weshalb du den fremden Kerl pflegst und durchfütterst und ihm das Fleisch in den Rachen stopfst, das mir zusteht und das du mir entziehst! Schande über dich! Aber warte, du Hurenmensch, ich werde die Nachbarn zusammenrufen, daß sie wissen, was hier jede Nacht vor sich geht und wie du vergessen hast, was du Matteo, meinem Sohn, schuldig bist!«
Er drehte sich um und wollte davon, gewiß, um seine Absicht wahrzumachen und die Nachbarschaft zu alarmieren. Anna sprang auf und war wie der Blitz hinter ihm her. Er war ein kleines Männchen und ihr an Kräften zehnfach unterlegen. Mit einer Hand preßte sie ihm den Mund zu, und mit dem andern Arm umfaßte sie seinen Leib und hob ihn hoch und trug ihn wie ein ungezogenes Kind in die Kammer.
»Hör zu, Alter!« zischte sie ihm ins Ohr, »dein Sohn Matteo, der mein Gatte war, ist tot! Und dieser Mann lebt! Und ich bin eine junge Frau! Und ich lebe! Und ich tue nichts, was gegen die Treue und was gegen die Natur verstößt! Aber ich verlasse noch heute mit diesem Mann dich und dein verfluchtes Haus! Ich habe es bis an den Hals satt, mich von dir kujonieren zu lassen und dir deine dreckige Wäsche zu waschen und dir das Essen für deinen zahnlosen Mund weichzukochen! Hörst du, Alter? Ich habe es satt, deine Greisenlaunen auszuhalten und bis an dein Lebensende deine Magd zu sein. Ich werde
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