Liebe auf südlichen Straßen
du keinen Grund dazu hast?«
»Ich habe es immer gewußt, von Anfang an. Aber was hilft die beste Einsicht, wenn sich das Gefühl dagegen sträubt? Es kränkte mich eben doch, daß du eine Frau vor mir so sehr geliebt hast. Aber dann habe ich die ganze Nacht über Gina und ihr Schicksal geweint. Und mir kommen schon wieder die Tränen, und die Kehle wird mir eng, wenn ich an sie denke.«
Sie hängte sich in seinen Arm und preßte sich gegen ihn, als müsse sie ihn trösten und als sei sie selber des Trostes bedürftig.
»Weißt du, wo Ginas Grab liegt?«
»Sie wurde auf dem Campo santo von Camogli bestattet.«
»Hast du sie besucht?«
»Ja, ich war zweimal dort...«
»Ach, weißt du, Lorenz, auf einmal ist es nicht mehr so, als ob du allein sie verloren hast. Mir ist, als wäre sie meine Schwester gewesen. Und ich möchte mit dir nach Camogli fahren und ein paar Blumen auf ihr Grab legen. Meinst du, daß ich das tun darf? Meinst du, daß sie es erlauben würde?«
Er nickte stumm und legte den Arm um ihre Schultern. Sie hatten die Promenade in ihrer ganzen Länge durchschritten und gingen langsam zum Porto nuovo und zum Wagen zurück.
»Und die Geschichte mit Anna«, begann Elisabeth nach einer kleinen Weile, als sie wieder in den Schatten der Kugelorangen kamen, »nun, das war wohl doch mehr oder weniger eine Episode...«
Lorenz schluckte ein wenig, als hätte er einen allzu trockenen Bissen im Munde: »Episode...«, murmelte er und hüstelte, »nun ja, gewiß, so kann man es auch nennen.«
»Versteh mich bitte nicht falsch«, sagte Elisabeth rasch, »ich will Annas Rolle in deinem Leben nicht kleiner machen, als sie in Wirklichkeit ist. Anna ist eine wunderbare Frau, und du hast ihr unendlich viel zu verdanken. Und ich auch, denn ohne sie würdest du vielleicht nicht mehr leben und ich nicht deine Frau sein. Aber was du für sie empfandest, war doch wohl mehr Dankbarkeit, nicht wahr? Und sie war einsam und wünschte sich ein Kind. Oh, ich kann sie nur zu gut verstehen. Und am meisten bewundere ich ihren Mut. Sie ist viel mutiger, als ich jemals sein könnte. Und mir imponiert auch ihre Haltung dir gegenüber, daß sie ihren Lorenzo als ihr ausschließliches Eigentum betrachtet und sich dagegen sträubt, daß du etwas für sie und für ihren Sohn tust.«
Sie setzten sich für ein paar Minuten auf eine Steinbank der Promenade in der Nähe des Landestegs. Kein Boot war auf dem Wasser, und kein Lüftchen regte sich. Das gegenüberliegende Ufer verbarg sich hinter Hitzeschleiern, und der See lag grau wie geschmolzenes Blei hinter den Kaimauern. Nicht einmal die Mastspitzen der vertäuten Segelboote bewegten sich.
»Trotzdem müßtest du etwas für Anna tun!«
»Ich war heute vormittag noch einmal bei ihr«, sagte er, »ich weiß nicht, wie ich auf den Gedanken kam, aber ich hoffte dich bei ihr zu finden...«
»Merkwürdig, denn ich hatte tatsächlich zuerst die Absicht, Anna zu besuchen. Aber dann gab ich es auf, weil es keinen Zweck hatte. Wie sollte ich mich ihr verständlich machen? Aber hast du mit deinem Besuch wenigstens etwas bei ihr erreicht?«
»Ach, sie hat einen verdammt harten Kopf. Aber sie will es sich überlegen. Verstehst du, sie will nicht haben, daß Lorenzo oder Pietro, ihr Mann, sich über die Herkunft des Geldes Gedanken machen. Es wird nicht leicht sein, einen Ausweg zu finden.«
»Aber da müßte sich doch ein Weg finden lassen! — Ich weiß jetzt natürlich, daß ihre Armut Anna persönlich nicht bedrückt. Aber, Lorenz, mich bedrückt der Gedanke, daß dieser kleine hübsche Junge am Bagno publico am Straßenrand steht und Limonen verkauft, die nicht mehr ganz einwandfrei sind. Und daß er Zigaretten raucht, die er sich aus Stummeln dreht. Das geht mir schwer gegen das Gefühl. Das paßt mir durchaus nicht! Und daran werde ich immer denken müssen. Ich werde nicht einmal so sehr daran denken, daß es dein Sohn ist. Ich werde denken: Lorenzo ist gezwungen, kleine Schwindeleien zu begehen und Stummel zu rauchen. Und dieser Gedanke wird mich peinigen. — Übrigens begegnete er mir heute morgen. Er begrüßte mich und begleitete mich sogar ein Stück des Weges nach Bogliaco hinaus, ein richtiger kleiner Kavalier. Schade, daß wir uns nicht unterhalten konnten.«
»Ich weiß es bereits«, sagte er, »denn ich bin Lorenzo ebenfalls begegnet, später, als er aus der Schule kam. Es war eine merkwürdige Begegnung...« — »Weshalb merkwürdig?«
»Mit einem Wort: er weiß, daß ich
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