Liebe braucht keinen Ort
wenn Mia uns weiter geholfen hätte. Es hätte euch beide in Gefahr gebracht. Also habe ich mir gedacht, wenn ich so wegginge, wärst du wütend genug auf mich und könntest mich vergessen.«
Den ganzen restlichen Nachmittag spazierten sie zusammen zwischen den Tempeln herum. Er zeigte ihr die Gebäude, die er am liebsten mochte, und manchmal erklärte er ihr die Bedeutung der Reliefs. Die Figuren in Worte zu fassen, war Teil seiner Forschungsarbeit, und er kannte die Geschichten gut. Der Legende nach waren die vielen Tempel von Prambanan in einer einzigen Nacht von einem Prinzen erbaut worden, der damit das Herz einer wunderschönen jungen Frau gewinnen wollte.
»Und ist es ihm gelungen?«, fragte Liza.
David schüttelte den Kopf. »Nein. Selbst nachdem er diese von ihr gestellte Aufgabe erfüllt hatte, weigerte sie sich noch, ihn zu heiraten. Ihre grausame Gleichgültigkeit war so groß, dass die Götter sie in eine Schlange verwandelten.«
»Das erscheint mir nur gerecht«, meinte Liza und sie umarmten sich noch fester.
Am Ende des Nachmittags brachte er sie zu den Bussen amBesucherzentrum und wurde plötzlich sehr still. »Was machen wir jetzt, Liza? Es hat sich nichts geändert, weißt du, ganz gleich, was wir füreinander empfinden. Omura wird mich weiterhin zwingen, dorthin zurückzukehren. Ich habe noch zwei Wochen Arbeit hier vor mir und in wenigen Monaten läuft meine Zeit auf der Erde ab. Wenn ich dann nicht in einem Raumschiff nach Hause sitze, kommen sie mich suchen. Und dann finden sie vielleicht dich. Es ist zu gefährlich, wenn wir einander in London wiedersehen. Ich habe vor, mich gleich von hier aus zurückschicken zu lassen.«
Plötzlich wurde Liza klar, in welch ungeheuer schwierigen Lage sie steckten. Wenn es wirklich so hoffnungslos war, wie er sagte …
»Sollten wir dann nicht wenigstens das hier haben?«, fragte sie schließlich. »Wenn das alles ist, was wir haben können, sollten wir dann nicht die Gelegenheit ergreifen? Dein Chip wird dich nicht verraten, wenn ich dich hier besuche, oder? Nicht innerhalb einer Woche jedenfalls. Wir könnten so tun, als wären wir zwei ganz normale Leute. Und mehr Tage wie heute erleben. Das ist doch besser als gar nichts?«
Und genau das taten sie schließlich. Durch eine gewaltige Anstrengung ihrer Fantasie und ihres Willens schafften sie es, ihre verzweifelte Lage zu verdrängen und eine vollkommene Woche zu genießen. An einigen Tagen kaufte Liza in der Stadt alle Zutaten für ein Mittagessen ein, nahm den Bus nach Prambanan und überraschte David mit einem Picknick. An Jasmines freiem Tag zog Liza mit ihr über den Kunstgewerbemarkt und kaufte Geschenke für ihre Familie, für Rani, Mrs Hart, ihre Beraterin und sogar Major Dawson ein.
»Wie geht es Rani?«, fragte Jasmine, als Liza die handgemachten Sandalen mit den pfauenblauen Kristallen bezahlte, die perfektzu Ranis schmalen Füßen mit dem eleganten hohen Spann passen würden.
»Du kennst doch unsere Rani«, antwortete Liza lachend. »Bricht reihenweise Männerherzen und ist entschlossen, selbst niemals der Liebe zu verfallen.«
Bei Sonnenuntergang kam David in die Stadt gefahren, um den Abend mit Liza zu verbringen. Oft aßen sie mit Jasmine und Raj zu Abend, und alle vier kochten zusammen, lachten und wuschen in Jasmines winziger Spüle ab. Eines Abends drängte Raj sie, so schnell wie möglich zu essen, damit sie danach eine echte indonesische Spezialität erleben konnten – ein Badmintonturnier in der Nachbarschaft.
David gestand, dass er noch niemals jemanden hatte Badminton spielen sehen. Für Liza war es ein Spiel, das man ziemlich träge und gemächlich an Feiertagen im Sommer, zum Beispiel am 4. Juli, spielte. Sie waren beide nicht auf die riesige Menschenmenge gefasst, die sich auf einem unbebauten Stück Land zwischen hohen Wohnblocks eingefunden hatte. Es gab sogar Straßenverkäufer, die Eis und Süßigkeiten anboten.
»Das müssen ja mindestens dreihundert Leute sein«, meinte David.
»Warte ab, bis das hier erst mal richtig angefangen hat«, erwiderte Raj. Zwei Stadtbezirke, die schon lange miteinander wetteiferten, spielten gegeneinander. Während zunächst die schwächeren Spieler beider Teams gegeneinander antraten, strömten immer mehr Leute herbei. Als Liza den Blick hob, konnte sie sehen, dass unzählige Leute auch von den Balkonen ihrer Wohnungen und aus überfüllten Fenstern zuschauten. Es standen sogar Menschen auf den Dächern. In der Menschenmenge
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