Liebe braucht keinen Ort
war es sehr stickig, aber die Hitze schien die Spannung und Erregung nur zu erhöhen. Mit jeder Runde wurden die Spieler besserund besser, spielten völlig anders, als Liza es von ihren trägen Sommertagen kannte. Der Federball flog mit atemberaubender Geschwindigkeit hin und her. Die Spieler verpassten kaum je einen Return, legten so viel Kraft in ihre Schläge, dass man die Luft durch die Saiten pfeifen hörte und der dumpfe Aufprall des Federballs weithin in der Menge zu vernehmen war.
Als der lange Sommerabend immer dunkler wurde, brachten die Leute altmodische Elektrolampen heraus, um den Platz zu beleuchten. Die Lampen waren über endlose Verlängerungskabel, die aus den Wohnungsfenstern kamen, mit Steckdosen verbunden, und Liza wurde daran erinnert, dass nicht alle Länder die Segnungen der modernsten Technik genossen. Dies war ein weiteres Zeichen dafür, wie sehr Jasmine ihr Land lieben musste, weil sie zurückgekommen war, um an seinem Fortschritt mitzuarbeiten.
Als schließlich die beiden besten Spieler einander gegenüberstanden, war die Menschenmenge wie elektrisiert. Jeder zurückgeschmetterte Volley wurde bejubelt, jeder verpasste Schlag mit verzweifeltem Stöhnen kommentiert. Es war schon nach ein Uhr morgens und der Lärm war ohrenbetäubend.
»Haben sie keine Angst, dass die Nachbarn sich beschweren?«, fragte Liza.
»Es ist keiner übrig, der sich beschweren könnte«, antwortete Jasmine lachend. »Alle sind hier.«
Die letzten Sätze waren die besten, so spannend, dass Liza einfach nicht wegschauen konnte und die Augen so starr auf den Federball gerichtet hielt, dass sie glaubte, das Bild müsse für immer auf ihrer Netzhaut eingebrannt sein. Und obwohl David diesen Sport noch nie zuvor gesehen hatte, begriff er rasch und war so davon gefesselt wie alle anderen auch.
Als schließlich die Gewinner ihren Applaus einheimsten, wardie Menschenmenge vollkommen erschöpft. »Ich glaube, ich weiß jetzt, auf wen ich bei den nächsten Olympischen Spielen achten muss«, meinte Liza.
Raj zuckte die Achseln. »Das sind nur die besten in dieser Gegend. Die sind von der Olympiamannschaft sehr weit entfernt.«
Am nächsten Abend kam David mit einigen ausgeliehenen Badmintonschlägern und einer Dose mit Federbällen, und er und Liza machten sich auf in den Park, um sich an dem Spiel zu versuchen. Sie waren beide ziemlich schlecht und hielten es für einen großen Erfolg, wenn es ihnen einmal gelang, den Federball länger als eine Minute in der Luft zu halten. Zwei Federbälle gingen in den Büschen verloren, obwohl Liza später einen fand und heimlich als Erinnerung in die Tasche steckte. Den Bruchteil einer Sekunde lang erinnerte sie sich daran, dass sie in wenigen Tagen abreisen würde, und eine Traurigkeit, die beinahe schon Panik war, stieg in ihr auf. Dann kehrte sie zu David zurück und lächelte, so gut sie konnte.
Auf dem Spaziergang zurück zu Jasmines Wohnung fragte David, ob sie einen besonderen Wunsch für den letzten Tag ihres Besuchs hatte.
»Eigentlich nicht«, antwortete Liza. Die bloßen Worte »letzter Tag« klangen in ihren Ohren wie ein Todesurteil.
»Gut«, meinte David, »denn ich möchte dir etwas ganz Besonderes zeigen. Wir müssen hier allerdings etwa um vier Uhr morgens los, um es nicht zu verpassen. Hast du Lust dazu?«
Liza nickte. »Sagst du mir, was es ist?«
»Auf keinen Fall«, erwiderte David. »Das ist eine Überraschung. Aber ich miete mir ein Auto, verspreche also, dass ich dich rechtzeitig zum Flughafen bringe.«
Liza packte am Vorabend. Weil sie schon fort sein würde, ehe Jasmine am nächsten Morgen ins Krankenhaus aufbrach, legtesie das Geschenk, das sie für sie gekauft hatte, auf den Tisch. Es war eine wunderschön bestickte Tagesdecke in Jasmines Lieblingsfarben, lauter Blau- und Grüntönen. An den Rändern verliefen Ranken, von denen aus Schwalben über die Mitte der Decke ausschwärmten. Es war nicht einfach gewesen, sich kurz zu verdrücken, um die Decke zu kaufen, als sie mit Jasmine auf dem Kunstgewerbemarkt gewesen war, aber Liza war sich sicher, dass sie den Einkauf geheim gehalten hatte, und lächelte, als sie sich Jasmines Überraschung vorstellte.
Sie hatte gerade noch eine Karte mit einer Botschaft in die Verpackung geschoben, als sie auf der Treppe leise Schritte hörte und die Tür öffnete – nur einen Moment bevor David anklopfen konnte. Während er sich schon mit ihrem einzigen Gepäckstück auf den Weg die Treppe hinunter machte, schaute
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