Liebe bringt die höchsten Zinsen
Tasche und übergab sie mit dem Wechselgeld von elf Euro an Stefanie. Als sie den Rest des Geldes in eine der Außentaschen ihres Blazers steckte, spürte sie ein zusammengefaltetes Stück Papier: die geheimnisvolle Botschaft von Signora Bertone. Stefanie verabschiedete sich mit einem Handschlag.
Der Händler blickte ihr nachdenklich in die Augen. „Warten Sie!" Er drehte sich um zu seinem Ladentisch, griff nach dem Dolch und reichte ihn Stefanie mit den Worten: „Ich schenke Ihnen Petars Dolch, aber Sie müssen mir versprechen, ihn nie zu verkaufen. Und ihn Ihren Kindern mit demselben Versprechen zu vererben. Der Dolch soll auch die nächsten Generationen an den Kampf der Kroaten für Recht und Freiheit erinnern."
„Ist das Ihr Ernst?"
Der Mann nickte. „Bei Ihnen wird oft vergessen, dass wir Kroaten feste Überzeugungen haben und bereit sind, dafür zu kämpfen. Das war nicht erst in den Bauernkriegen so, sondern schon bei der Abwehr der türkischen Eroberer. Und zuletzt im Balkan-Krieg in den 90er Jahren. Das gilt für alle Kroaten."
„Und soll ich Ihnen das Geld nicht später bringen?"
„Ihr Versprechen ist mir mehr wert."
Wie benommen ergriff Stefanie die alte Waffe mit ihrer blutigen Geschichte und steckte sie in die gerade erworbene Ledertasche. Voller Dankbarkeit – und unfähig, ein Wort zu sagen – nickte sie dem alten Mann zu und verließ seinen kleinen verstaubten Laden.
Auf dem Weg zur Bank gingen ihr die Worte des Händlers nicht aus dem Kopf, aber auch nicht jene Eigenschaften der Kroaten, die Daniel ihr auf ihrer Reise beschrieben hatte: „Wir gelten allgemein als weltoffen und gelassen. Es gibt nichts, was wir nicht anpacken würden – nach dem Motto: ‚Nema problema', kein Problem."
Schade, dachte Stefanie: Heute wäre mir mit dem Kampfeswillen Daniels mehr geholfen als mit „nema problema." Aber ich werde es auch alleine schaffen. Auf unsere Zahlungen für sein Phantasieresort hat Bertone mit Sicherheit keinen Anspruch. Da dürfte er bei jedem Gericht der Welt abblitzen. Ich werde verlangen, dass alles rückgängig gemacht wird.
Sie blickte auf die Uhr. Es war inzwischen fast zehn. Sie musste sich beeilen, wenn sie ihr Vorhaben schnell hinter sich bringen wollte.
***
Daniel telefonierte erneut mit Mario. Was der ihm anvertraute, sprengte die Phantasie des Journalisten. Und während er sich Notizen machte, übersah er das Paar, das soeben die Bank betrat und das dem heutigen Tag eine unerwartete Wendung geben sollte.
***
Elena Ademi hatte schon kurz nach neun Uhr ihr Obst an verschiedene Händler verkauft. Die Einnahmen waren gut, ihre Stimmung gehoben. Sie hatte sich ein kräftiges Frühstück in einem Straßencafé verdient.
Ihr Sohn Mario war auf dem klapprigen Kleinlastwagen geblieben. Er hatte keine Lust auf Rühreier mit Speck, aber das war nicht der einzige Grund, weshalb er sich lieber hinter leeren Obstkisten einrichtete.
54. Der Tag der Entscheidung
Bertone liebte dramatische Szenen: In seinen Augen bescherten sie dem Publikum spannende Augenblicke, ohne die das ganze Leben auch außerhalb der Theatersäle eintönig wäre. Wichtig, so seine Überzeugung, war dabei immer die eigene Position, auf einen Nenner gebracht: Wer mitten drin ist, verliert - zuerst den Überblick, dann das Spiel.
Wer zuschaut, der gewinnt.
Bertone war gerne Zuschauer. Er stand am liebsten am Rand: dort, wo der Überblick gut ist und die Mitspieler kontrollierbar sind. Wo er den Fortgang der Handlung bestimmen und blitzschnell dorthin durchstarten konnte, wo es etwas zu holen gab.
Stefanie Waldenberg war in seinem jüngsten Spiel mitten im Zentrum er, Bertone, gefiel sich in der Rolle des Beobachters, der gleichzeitig und unbemerkt auch Regie führte.
Er war an diesem Mittwochmorgen schon ungewohnt früh aufgestanden und hatte mit seinen Vertrauten bereits eine ganze Stunde vor den eigentlichen Öffnungszeiten der Bank sein Büro betreten. Er freute sich auf den vor ihm liegenden Tag: Heute wird sich erneut erweisen, dass ich, Silvio Bertone, noch weitaus mehr bin als ein einfacher Puppenspieler!
Der Mailänder rieb sich die Hände: Lachhaft, wie schnell man an eine deutsche Bank geraten kann, dachte er. Am Abend wollte er seine Beute feiern.
Wohlgefällig saß er an seinem Schreibtisch; eine Sekretärin servierte ihm einen Latte Macchiato. Ihr Rock erinnerte an
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